Medizinischer Rat für Freunde? Besser nicht!

Oft stecken Ärzte oder Pflegefachleute im Zwiespalt: Verwandte oder Bekannte möchten medizinischen Rat. Medinside zeigt, wie man professionell damit umgeht.

, 24. August 2022 um 14:19
image
Während des Barbesuchs noch ein medizinischer Rat? Keine seriöse Dienstleistung. | Unsplash Charles Deluvio
Es ist ein Problem, dem wohl kaum jemand mit medizinischem Wissen ausweichen kann: Jeder Arzt, jede Ärztin, jede Pflegerin, jeder Pflege ist schon einmal um medizinischen Rat gefragt worden – und zwar nicht in der Praxis oder im Spital. Sondern beim Familienfest oder nach Feierabend am Telefon.

Schnell-Diagnose beim Sport oder zuhause

Das zeigt das Beispiel eines Berner Sportmediziners, der selber Ausdauersportler ist. Geht er mit Sportkollegen laufen oder radfahren, kommt häufig die Frage: «Du, mir tuts hier weh, was könnte das sein?»
Manchmal erhält er nach Feierabend sogar noch einen Anruf von Bekannten und wird um seine Meinung zu einem medizinischen Problem gefragt. Und zwar nicht nur im Sportbereich. Sondern auch zu Covid-19-Erkrankungen oder Wespenstichen.

96 Prozent würden Freunden Ratschläge geben

Gemäss einer Umfrage der deutschen Ärzteplattform «Medscape» würden 96 Prozent der Ärztinnen und Ärzte ihren Freunden und Angehörigen Ratschläge geben. Bei solchen Konsultationen beim Grillieren oder am Telefon gibt es allerdings ein Problem: Meist fehlt eine Untersuchung, eine ausführliche Anamnese und auch die Weiterbetreuung. Ohne diese Voraussetzungen sollte niemand konkrete medizinische Ratschläge erteilen.
Das heisst nicht, dass Ärzte oder Pflegepersonal in solchen Fällen abweisend reagieren müssen. Es gibt auch unbedenkliche Hilfsangebote – solange sie allgemein sind. Vorschläge wie «Hör auf zu rauchen», «achte auf gesunde Ernährung» oder «schlaf genug» sind immer erlaubt. Auch auf die Beantwortung von sachlichen Fragen wie «Was ist Alzheimer für eine Erkrankung?» oder «Wie funktioniert der Corona-Impfstoff?» dürfen sich medizinische Fachleute einlassen.

Ein Rat kann auch schaden

Problematisch ist es, wenn zum Beispiel Fragen nach einer speziellen Behandlung beantwortet werden. Der Medizinrechtler Jeff Caesar Chukwuma aus Florida, warnt laut «Medscape»: Wenn medizinische Fachleute ihren Freunden und Verwandten Ratschläge geben, müssen sie sich selbst und die Ratsuchenden schützen. Dazu gehöre es, nie Ratschläge in Fachbereichen zu geben, in denen sie sich nicht gut auskennen. Sie könnten sich nämlich irren und durch falsche Informationen Schaden anrichten.

Keine Behandlung von engen Familienangehörigen

Die American Medical Association (AMA) hat sich mit der Behandlung von Familienangehörigen beschäftigt. In ihren Richtlinien schreibt sie unmissverständlich: Ärzte sollten sich selbst oder enge Familienangehörige nicht behandeln. Zu gross sei die Gefahr, dass in solchen Fällen die professionelle Urteilsfähigkeit durch die persönliche Gefühlslage beeinträchtigt werde.
Das Problem ist: Bei Freunden und Bekannten scheuen Ärzte und Pflegefachleute vielleicht davor zurück, intime Fragen zur Krankengeschichte zu stellen. Oder umgekehrt hält der Patient vielleicht bestimmte Informationen zurück.

Die AMA gibt deshalb folgende Tipps:

Im Zweifelsfall lehne man eine Behandlung von Verwandten höflich ab. Im Gegenzug solle man andere Formen der Unterstützung anbieten – zum Beispiel bei der Suche nach einem qualifizierten Arzt. Das gelte nicht für Notfälle.
In der Schweiz gibt es keine Richtlinien über die Behandlung oder die Beratung von Verwandten und Freunden. Viele Ärztinnen und Ärzte sehen darin auch gar kein Problem. So gab etwa eine Unfallchirurg und Orthopäde gegenüber dem deutschen Ärzteblatt zu Protokoll: Er operiere seine Angehörigen selber und schicke sie nicht zu einem aus seiner Sicht möglicherweise nicht so kompetenten Kollegen. Als Arzt müsse man sich dieser Aufgabe stellen.

Praxis oder Spital ist bessere Umgebung

Doch nicht alle medizinischen Fachleute sind sicher, dass sie ihre Objektivität bewahren könnten. Dazu kommt: Viele Ärztinnen und Ärzte finden die Praxis oder das Spital ohnehin die bessere Umgebung für medizinische Gespräche oder Untersuchungen. Beim Abendessen sei kein routiniertes Gespräch, keine gewissenhafte Dokumentation und auch keine Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht möglich.
  • ärzte
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Warum Chirurgen mehr AC/DC- Musik hören sollten

Ein neuer Radiosender mit künstlicher Intelligenz-Funktion soll angeblich helfen, die chirurgische Genauigkeit und Effizienz zu verbessern.

image

Hausarztpraxiskette in Verruf – eine rechtliche Einordnung von Vergütungen an Arztpraxen

Ein Ziel der Revision des Heilmittelgesetzes (HMG) war, klare Regeln festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Vergütungen an Arztpraxen zulässig sind. Ein aktueller Fall bietet Anschauungsunterricht und zeigt, dass bei Zahlungen an Arztpraxen nach wie vor viele Unklarheiten bestehen.

image

«Die Arbeit wird als immer belastender empfunden»

Die hohen Arbeitszeiten bei Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzten führen dazu, dass sie sich deswegen immer häufiger müde, ausgelaugt und erschöpft führen. Dies zeigt die neueste Befragung des Berufsverbands VSAO.

image

So bekämpft der Kanton Thurgau den Hausarztmangel

Mit finanziellen Anreizen will der Regierungsrat die Versorgungslücke im Bereich der Hausarztmedizin schliessen.

image

Schularzt weist Vorwürfe sexueller Übergriffe zurück

Im Kanton Neuenburg wird derzeit ein Fall eines Kinderarztes verhandelt. Für die mutmasslichen Opfer soll es sich um unangemessene Berührungen handeln, für den Mediziner war es Teil der Untersuchung.

image

Viele Ärzte litten seelisch mit ihren Covid-Patienten

Eine Studie zeigt Überraschendes: Unter Covid-19 litten indirekt auch viele Ärztinnen und Ärzte – weil sie sich so hilflos fühlten.

Vom gleichen Autor

image

Saanen plant Luxusklinik mit Hausärzten

Neben dem Nobelkurort Gstaad könnte eine Privatklinik mit Spitzenmedizin für Gutbetuchte entstehen. Samt einer Hausarztpraxis für Einheimische.

image

Ende Jahr müssen die Belegärzte raus

Die Münsinger Belegärzte fallen zwischen Stuhl und Bank: In sieben Monaten haben sie keine Praxis mehr.

image

Männer, die pflegen, sind gefragt

Nun werden die Männer umworben: Die Spitex und die Pflegeheime Graubünden wollen sie für die Langzeitpflege gewinnen.