Deshalb sind Temporär-Pflegende nicht immer beliebt

Es gibt gute Gründe fürs Pflegepersonal, sich nur noch temporär anstellen zu lassen. Aber es gibt auch ein paar gute Argumente dagegen.

, 14. Oktober 2022 um 05:10
letzte Aktualisierung: 9. Dezember 2023 um 10:07
image
Temporär-Pflegefachkräfte sind meistens eine willkommene Entlastung im Team - manchmal gelten sie aber auch als «Rosinenpicker». | DCStudio Freepik
Immer mehr Pflegefachleute finden eine Alternative zu ihrem stressigen Job: Sie künden und lassen sich temporär anstellen. Das bekommen die Spitäler zu spüren. Die Zahl der temporär Angestellten nimmt zu. Das haben das Universitätsspital Zürich (USZ) und das Inselspital Bern gegenüber dem «Blick» bestätigt.
Das ist kein Wunder. Die Arbeitsbedingungen sind attraktiv: Statt festangestellt zu sein, helfen die Pflegenden tage-, wochen- oder monatsweise in einem Spital oder Pflegeheim aus. Der grosse Unterschied zu den Festangestellten: Wo, wann und wie lang sie arbeiten, entscheiden sie selber. Und dafür werden sie erst noch besser bezahlt.
Fix angestellte Pflegefachkräfte können von solchen Arbeitsbedingungen nur träumen. Temporär-Angestellte können jene Dienste übernehmen, die ihnen zusagen. Und sie können auch ein paar Tage aneinander freinehmen.

1000 Franken mehr pro Monat

Trotz tieferem Arbeitspensum erhalten sie am Ende des Monats meistens mehr Lohn als Festangestellte. Spitäler und Heime sind dermassen auf Personal angewiesen, dass die begehrten Pflegefachleute auf dem Temporärstellen-Markt schnell einmal 1000 Franken pro Monat mehr erhalten.
Fürs Pflegepersonal ist das eine komfortable Situation – auf den ersten Blick. Es gibt aber auch Gründe, die gegen Temporärstellen sprechen.
Das Personal für die Temporäreinsätze wird derzeit mit sehr hohen Löhnen geködert. In diesen Löhnen ist allerdings der 13. Monatslohn und der Ferienanspruch bereits inbegriffen. Ausserdem haben die Temporäreinsätze zur Folge, dass die Einzahlungen in die Pensionskasse deutlich geringer ausfallen als bei einer Festanstellung. Es drohen Vorsorgelücken.

Ständiges Einarbeiten ist stressig

Wer häufig den Arbeitsplatz wechselt, muss sich immer wieder neu einarbeiten. Das ist aufwendig und kann auch stressen. Wer zu einem bereits überlasteten Team stösst, findet oft auch niemanden, der sich für neue Mitarbeitende Zeit nehmen kann. Und noch schlimmer: Manchmal will sich auch niemand die Zeit dazu nehmen, jemanden einzuarbeiten, der sowieso bald wieder weg ist.
Wer nie länger am gleichen Ort arbeitet, kommt in der Regel nicht dazu, auch einmal schwierigere Aufgaben übernehmen zu können oder Weiterbildungen zu absolvieren. Temporär-Angestellte können deshalb mit neuen Entwicklungen im Beruf weniger gut mithalten.

Im Team nicht so beliebt

Das führt dann auch dazu, dass Temporär-Angestellte in Teams von Festangestellten nicht allen Fällen eine willkommene Entlastung sind. Sie können als Neulinge oft nur für einfache Arbeiten eingesetzt werden, fügen sich nicht so schnell ins Team ein, gelten als die «Rosinenpicker», weil sie sich die Arbeitszeiten auswählen können und trotzdem viel Lohn beziehen. Das kann schlechte Stimmung im Team schaffen.
Oft liebäugeln festangestellte Pflegefachleute selber mit einer Temporär-Anstellung – allerdings nur halbherzig und mit Vorbehalten: «Ich muss mich dann nur dumm anstellen, dann bekomme ich die einfachen Aufgaben, muss mich nicht über nicht vorhandene Wertschätzung der Vorgesetzten ärgern und mache nur die Dienste, die mir passen», machte kürzlich eine festangestellte Pflegefachfrau in einem Leserbrief ihrem Unmut Luft.

Festangestellte zu Lückenbüssern?

Wenn es in der Pflege immer mehr Temporär-Angestellte gibt, könnte es zu einem gefährlichen Teufelskreis kommen. Im «Blick» warnte Pierre-André Wagner, Leiter des Rechtsdienstes beim Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK): Die Festangestellten könnten zu Lückenbüssern werden. «Die Temporären wählen aus, wann sie arbeiten, und die Festangestellten müssen den Rest übernehmen – das könnte zu einer weiteren Frustration führen.»
Für die Spitäler sind Temporär-Angestellte eine sehr teure Lösung – viel teurer als Festangestellte. Denn die Temporärfirmen, welche die Pflegefachleute vermitteln, verdienen an jeder Arbeitsstunde einen schönen Anteil mit.
Das Fazit: Temporärarbeit ist letztlich weder fürs Personal noch für die Spitäler und Heime eine langfristig gute Lösung.

Der beste Anreiz: Bessere Bedingungen

Letztlich führt kein Weg daran vorbei, dass die Arbeitsbedingungen fürs Personal verbessert werden. Nur dann ist das Personal wieder bereit, sich langfristig an einen Betrieb zu binden. Mehr Lohn, gut gelaunte Kolleginnen und Kollegen, weniger Zeitdruck und ein angenehmes Arbeitsklima wären der beste Anreiz für temporäre Mitarbeiter, sich festanstellen lassen – statt dass die Festangestellten weiterhin in Temporärstellen flüchten.
  • pflege
  • temporär
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Studie: Wo das Pflegepersonal unzufrieden ist, sterben mehr Patienten

Erstmals wurden Zusammenhänge zwischen den Kündigungsabsichten in der Pflege und der Mortalität im Spital erforscht.

image

Pflegefachfrau als «Jungunternehmerin des Jahres» gewürdigt

Alessia Schrepfer wurde für die Gründung von WeNurse mit dem Women Award des Swiss Economic Forum ausgezeichnet.

image

4-Tage-Woche in der Pflege: Ernüchterndes Ergebnis

Ein deutsches Spital führte neue Arbeitszeit-Angebote ein. Nach der Anfangseuphorie kam der Alltag.

image

Temporärarbeit in der Pflege verdient Neubeurteilung

Das Pflegepersonal ächzt unter dem Fachkräftemangel. Personaldienstleister helfen, dringend benötigtes Personal für Gesundheitseinrichtungen zu finden und tragen doppelt zur Problemlösung bei: Es gelingt Lücken zu schliessen und flexibilitätssuchende Fachkräfte gehen der Branche nicht ganz verloren.

image

SBK und KSGL-Spitze suchen neue Vertrauensbasis

Der Pflegeverband setzte die Sozialpartner-Gespräche aus, weil das Kantonsspital trotz Entlassungen Neueinstellungen durchführte. KSGL-CEO Stephanie Hackethal zeigt sich «irritiert» und weist die Vorwürfe zurück.

image

Altersheim-Gruppe bietet 4-Tage-Woche an

Bei Glarus-Süd-Care kann neu zwar nicht weniger, aber konzentrierter gearbeitet werden. Nämlich nur noch an vier statt an fünf Tagen pro Woche.

Vom gleichen Autor

image

SVAR: Neu kann der Rettungsdienst innert zwei Minuten ausrücken

Vom neuen Standort in Hundwil ist das Appenzeller Rettungsteam fünf Prozent schneller vor Ort als früher von Herisau.

image

Kantonsspital Glarus ermuntert Patienten zu 900 Schritten

Von der Physiotherapie «verschrieben»: In Glarus sollen Patienten mindestens 500 Meter pro Tag zurücklegen.

image

Notfall des See-Spitals war stark ausgelastet

Die Schliessung des Spitals in Kilchberg zeigt Wirkung: Nun hat das Spital in Horgen mehr Patienten, macht aber doch ein Defizit.