Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, warum Leistungserbringer Medizinprodukte mitunter direkt im Ausland anstatt über den «offiziellen» schweizerischen Kanal beschaffen: mangelnde Verfügbarkeit oder Preisvorteile. Sie wähnen sich dabei oft in einer rechtlichen Grauzone, dabei gibt es eine Regelung für diesen Fall:
«Wer als Fachperson ein Produkt aus dem Ausland, ohne es in Verkehr zu bringen, direkt anwendet, ist für die Konformität des Produkts verantwortlich.»
So steht es in Artikel 70 Absatz 1 der Medizinprodukteverordnung («MepV»). Was auf den ersten Blick nach einer regulatorischen Belastung für die Leistungserbringer aussieht, ist in Wirklichkeit nicht nur eine Entlastung für ausländische Hersteller von Medizinprodukten, sondern auch ein Mittel, um drohenden Versorgungsengpässen entgegenzutreten und Parallelimporte zu ermöglichen.
Dr. iur. Michael Isler ist Rechtsanwalt, Partner und Mitglied der Geschäftsleitung in den Produktgruppen Geistiges Eigentum, Informationstechnologie und Datenschutz bei der Zürcher Anwaltskanzlei
Walder Wyss. Er ist hauptsächlich im Technologierecht tätig und beschäftigt sich häufig mit Fragen der Medizinprodukteregulierung.
- Im «Fall der Woche» beleuchtet ein Anwalt von Walder Wyss jeweils eine juristische Fragestellung aus dem Gesundheitswesen.
Schweiz als «Drittstaat»
Aber der Reihe nach: Seit dem 27. Mai 2021 bilden die Schweiz und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union («EU») bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums («EWR») keinen einheitlichen Harmonisierungsraum für Medizinprodukte mehr. Die Schweiz ist für die EU zum «Drittstaat» geworden – und umgekehrt.
Dies bedeutet unter anderem, dass ein ausländischer Hersteller, der in die Schweiz liefern will, grundsätzlich einen sogenannten Bevollmächtigten («CH-Rep») benennen muss. Der CH-Rep ist weit mehr als ein Briefkasten. Er ist fachlich versiertes Bindeglied zwischen dem ausländischen Hersteller, dem Importeur und Swissmedic. Ausserdem haftet er mit dem Hersteller solidarisch für Schäden, die durch fehlerhafte Medizinprodukte entstanden sind (Artikel 47d Absatz 2 des Heilmittelgesetzes).
Wer als Leistungserbringer ein Medizinprodukt direkt aus dem Ausland beschafft und anwendet, bringt es nicht in Verkehr. Er nimmt es lediglich in Betrieb. Diese Nuance ist mehr als Wortklauberei:
- Wo es kein Inverkehrbringen gibt, gibt es keinen Importeur. Der Leistungserbringer muss sich daher nicht als Importeur bei Swissmedic registrieren. Ihn treffen auch nicht die weiteren Prüf- und Dokumentationspflichten, die für Importeure gelten.
- Ohne Inverkehrbringen entfällt auch die Pflicht des Herstellers, einen CH-Rep zu benennen und auf der Produktkennzeichnung auszuweisen.
Die offensichtlichen Erleichterungen für die Wirtschaftsakteure haben allerdings ihren Preis, und dieser zahlt der Leistungserbringer: Er ist nämlich «für die Konformität des Produkts verantwortlich.» Was bedeutet das konkret?
«Der CH-Rep ist weit mehr als ein Briefkasten. Er ist fachlich versiertes Bindeglied zwischen dem ausländischen Hersteller, dem Importeur und Swissmedic.»
Eine direkte Beschaffung aus dem Ausland bedeutet zunächst nicht zwingend, dass ein Produkt physisch in die Schweiz eingeführt wird. Bei der Nutzung cloudbasierter Medizinproduktesoftware, die direkt über einen ausländischen Betreiber bezogen wird, ist diese Konstellation beispielsweise auch gegeben.
Verkehrsfähiges Medizinprodukt
Der Leistungserbringer muss sich als erstes vergewissern, dass das Medizinprodukt verkehrsfähig ist. Es muss eine CE-Markierung aufweisen und je nach Risikoklasse auch mit der vierstelligen Kennnummer der Zertifizierungsstelle (notified body) versehen sein. In diesem Fall ist auch die zugehörige Konformitätsbescheinigung des notified body einzuverlangen.
Da überdies kein Wirtschaftsakteur in der Schweiz für sicherheitsrelevante Belange zuständig ist, springt der Leistungserbringer in die Lücke. Das heisst, er muss über den Hersteller den nötigen Informationsfluss (Field Safety Notices) sicherstellen und allenfalls Korrekturmassnahmen umsetzen, z.B. sich das für die Fehlerbehebung benötigte Firmware-Update beschaffen.
Heikle Parallelimporte
Möglicherweise hat der ausländische Hersteller einen CH-Rep. In einem solchen Fall gäbe es in der Schweiz an sich eine Drehscheibe, die für die Einhaltung der Nachmarktpflichten mitverantwortlich ist. Bei Medizinprodukten, die für den schweizerischen Markt bestimmt sind, kann der CH-Rep auf der Produktkennzeichnung identifiziert werden. Bei Parallelimporten gestaltet sich die Identifizierung jedoch schwieriger, insbesondere da die Registrierungspflichten in der Medizinproduktedatenbank «Swissdamed» erst ab Mitte 2026 greifen werden – und dies auch nur für neu auf den Markt gebrachte Produkte.
«Wer als Leistungserbringer ein Medizinprodukt direkt aus dem Ausland beschafft und anwendet, bringt es nicht in Verkehr. Er nimmt es lediglich in Betrieb.»
Für diese können dann immerhin mit Hilfe der Produktidentifikationsnummer (UDI) die relevanten Angaben mittels einfacher Abfrage bezogen werden. Zunächst bleibt in den meisten Fällen jedoch eine Erkundigung beim Hersteller unumgänglich. Ob dann der CH-Rep bereit ist, den Leistungserbringer in den Informationsfluss einzubinden, steht auf einem anderen Blatt. Gesetzlich dazu verpflichtet ist er nicht.
Häufig sind sich Leistungserbringer nicht bewusst, was die direkte Beschaffung von Medizinprodukten für sie an zusätzlicher Bürde bedeutet. Swissmedic hat deshalb ein entsprechendes
Merkblatt produziert, zumindest bis jetzt aber keine breit angelegten Prüfkampagnen durchgeführt.
- Der «Rechtsfall der Woche» ist ein Partner-Inhalt von Walder Wyss.
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