Wie die Lebensspanne unserer Eltern unsere Gesundheit betrifft

Wir wissen immer genauer, welche genetischen Faktoren die Lebens-Erwartung prägen. Die gute Nachricht dabei: Die Wirkung just dieser Faktoren lassen sich durch das eigene Verhalten gut korrigieren.

, 18. August 2016 um 07:00
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Je länger Ihre Eltern leben, desto eher leben auch Sie länger und desto eher haben Sie ein gesundes Herz. Dies besagt unsere jüngste Studie, welche die Daten von beinahe 200'000 Probanden berücksichtigte.
Zwar ist es zunehmend bekannt, dass die Genetik eine Rolle spielt bei der Frage, in welchem Alter wir sterben. Aber das Verhältnis zwischen dem Sterbealter der Eltern und dem Überleben der Kinder (beziehungsweise deren Gesundheit) ist komplex; viele Faktoren spielen hinein. Eine grosse Bedeutung haben dabei die gemeinsame Umgebung und der gemeinsame Lebensstil, was sich etwa in Essverhalten und Tabakkonsum ausdrückt. 
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Die Autoren
Dr. Luke Pilling und Dr. Janice Atkins sind Research Fellows innerhalb der Gruppe für Epidemiologie und Public Health an der Medical School der University of Exeter.
Aber selbst wenn man solche Faktoren abzieht, bleibt die Lebensspanne der Eltern voraussagend für ihre Nachkommen – dies konnten wir bereits in früheren Forschungsarbeiten aufzeigen. Und doch blieb es unklar, wie sich der Vorteil von langlebigen Eltern auf deren Kinder in der Lebensmitte denn genau überträgt.
In der neuen Studie, die jetzt im «Journal of the American College of Cardiology» erschienen ist, verwendeten wir Informationen aus der britischen Biobank-Studie (UK Biobank Study). Wir verfolgten die Teilnehmer im Alter zwischen 55 und 73 über einen Zeitraum von acht Jahren, wobei wir Patientendaten aus Spitälern verwendeten.

Um 20 Prozent tieferes Risiko

Dabei kam heraus, dass für jedes Elternteil, welches über das siebte Lebensjahrzehnt hinaus lebte, ein um 20 Prozent tieferes Risiko bestand, an einer Herzkrankheit zu sterben.
Anders gesagt: Von 1'000 Menschen, deren Väter mit 70 starben, erlitten rund 50 im nachfolgenden zehnjährigen Beobachtungszeitraum einen tödlichen Herzvorfall. Derweil wurden bei bei einer Gruppe, deren Väter mit 80 starben, nur 40 beobachtete Personen im gleichen Zeitraum von einer tödlichen Herzkrankheit niedergestreckt. Ähnliche Trends und Verhältnisse zeigten sich auch bei der Lebensspanne der Mütter.

Genetische Effekte auf Blutdruck, BMI, Cholesterin

Aber bekanntlich wird die familiäre Verbreitung früher Herzleiden ohnehin längst von Ärzten berücksichtigt, um Patienten mit erhöhten Risiken zu identifizieren.
Die stärksten genetischen Effekte auf die Lebensspanne zeigten sich in unseren Studien im Blutdruck der Probanden, in ihren Cholesterin-Spiegeln, ihrem Body-Mass-Index und in der Neigung zum Rauchen. All dies sind Faktoren, welche das Risiko eines Herzvorfalls steigern; und so passt das Ergebnis zu den verschiedenen Raten von Herzerkrankungen, die wir beim jeweiligen Nachwuchs erkennen konnten.
Dieser Artikel wurde ursprünglich publiziert in «The Conversation». Lesen Sie den Original-Beitrag: «How your parent’s lifespan affects your health», August 2016.
Zugleich brachte unsere Analyse einige Hinweise ans Licht, wonach neuartige genetische Varianten ebenfalls Wege zu einem längeren Leben eröffnen könnten. So zum Beispiel, indem sie helfen, Beschädigungen bei der DNA besser zu reparieren. Aber hier bleibt noch viel zu erforschen.
Wirklich wichtig ist dabei, dass wir es hier mit Effekten auf Gruppenebene zu tun haben: Sie gelten nicht notwendigerweise für Individuen. Denn allzu viele Faktoren beeinflussen die Gesundheit des Einzelnen. Und so sind die Resultate durchaus positiv. Obwohl Menschen mit Eltern, die lange lebten, mit grösserer Wahrscheinlichkeit selber länger leben, heisst dies nicht, dass Personen mit andern Eltern ihre Hoffnung verlieren sollten. Es gibt viele Arten für sie, ihre Gesundheit zu verbessern.

Familiengeschichte als Teil des Arztgesprächs

Die heutigen Gesundheits-Ratschläge zu körperlicher Aktivität, guter Ernährung oder zum Tabakverzicht bleiben sehr bedeutsam – und so können die Menschen ihre Gesundheit wirklich in die eigenen Hände nehmen. Man kann erhöhte Risiken überwinden, indem man gesündere Wege einschlägt, etwa durch Bewegung, ein mässiges Gewicht und so weiter. Oder indem man den Blutdruck und die Cholesterinwerte regelmässig testen lässt.
Doch dabei sollte man natürlich auch die Familiengeschichte mit den Ärzten besprechen; immerhin gibt es einige gute Möglichkeiten, um gegen die Ursachen eines frühen Todes vorzubeugen.
Auf der anderen Seite können Menschen mit Eltern, die ein hohes Alter erreichten, nicht einfach annehmen, dass es ihnen genauso gehen wird. Wer sich grossen Gesundheitsrisiken aussetzt, bedroht sich damit stärker – unabhängig vom Alter, in dem die Eltern starben.

Luke C. Pilling, Janice L. Atkins, Kirsty Bowman et al.: «Human longevity is influenced by many genetic variants: evidence from 75,000 UK Biobank participants», in: «Aging», März 2016.

Die Studie untersuchte die Daten von 75'000 Menschen und genetische Zusammenhänge zwischen langlebigen Eltern und einem längeren Leben der Kinder. Festgestellt wurden protektive Genvarianten (Allele) gegenüber Herzarterien-Erkrankungen, systolischem Blutdruck, BMI, Cholesterin- und Triglycerid-Spiegel, Diabetes Typus 1, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und Alzheimer. 

  • Bild: Martin Gommel, «Father & Son» | Flickr CC

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