Die Studie wurde bereits im Februar veröffentlicht, aber kaum beachtet und zitiert. Dabei hat sie eine brisante Aussage, sie lautet: Spezialisten können gefährlich sein. Jetzt griff Ezekiel J. Emanuel, ein Onkologe und Professor der University of Pennsylvania,
das Thema in der «New York Times» auf.
Es besagt: Patienten mit lebensbedrohlichen Herzerkrankungen sind besser dran, wenn keine erfahrenen Kardiologen zur Verfügung stehen.
Eine um 7 bis 10 Prozent höhere Überlebenschance
Ja, Sie haben richtig gelesen. Ausgehend vom Spruch, dass das Kongresszentrum eines Kardiologentreffens wohl der sicherste Ort wäre für einen Herzpatienten, machten vier Kardiologen die Probe: Sie untersuchten über einen zehnjährigen Zeitraum und mit den Daten von zehntausenden Patienten die Sterberate von Herzpatienten – oder genauer: die Sterberate in Universitäts- und Lehrspitälern – während der grossen Kardiologentreffen veränderten.
Die Idee dabei: Während dieser Kongresse sind die höherrangigen Kaderärzte normalerweise abwesend.
Und was kam heraus? Patienten mit aktuten und lebensbedrohlichen Herzerkranken hatten eine tiefere Mortalität während dieser Kongresse als davor und danach.
In Zahlen: Wer mit einer akuten Herzinsuffizienz solch ein Unispital aufsuchte, hatte eine um 7,3 Prozent höhere Überlebenschance, wenn er während der Konferenz eingeliefert wurden. Bei Patienten mit Kreislaufstillstand lag die Chance sogar um 10,3 Prozent höher.
Das Forscherteam mit Ärzten der Universitäten von Harvard und South California machte auch einige Gegen-Checks: Während den grossen Konferenzen in anderen Fachrichtungen wie Gastroenterologie, Onkologie und Orthopädie konnten keine Veränderungen bei der Sterberate von Herzpatienten festgestellt werden. Und bei Kardiologenkongressen stieg auch nicht die Mortalität bei lebensgefährlichen Magen-Darm-Vorfällen.
Klinische Praktiker versus Forscher?
So weit, so erstaunlich. Bemerkt sei, dass nach der Veröffentlichung zu Jahresbeginn kaum diskutiert wurde, was denn die Gründe für dieses Phänomen sein könnten. Die Autoren selber liessen sich nicht auf die interpretativen Äste hinaus.
- In der «New York Times» äusserte Ezekiel J. Emanuel jetzt Verdacht, dass gute und hochrangige Kardiologen eben eher Forscher als Praktiker seien – so dass, wenn ein Kardiologenkongress stattfindet, vergleichsweise mehr Ärzte mit ausgeprägter klinischer Erfahrung im Dienst sind.
- Eine andere Erklärung wäre, dass Spitzenspezialisten zu weitergehenden Eingriffen neigen – die eben auch ein gewisses Risiko beinhalten –, beispielsweise durch das Einsetzen eines Stents, wo ein jüngerer Arzt noch verzichten würde.
- Und eine dritte These könnte schliesslich sein, dass alle im Haus – ob Assistenzärzte, Oberärzte oder Pflegepersonal – schlicht und einfach konzentrierter und risikobewusster arbeiten, wenn sie wissen, dass ihnen der anerkannte Spezialist in diesen Tagen nicht im Hintergrund zur Verfügung steht.