Trialstracker: Die Hälfte der klinischen Versuche bleibt geheim. Hier sehen Sie, welche.

Wer verheimlicht die Ergebnisse seiner klinischen Tests? Ein neues Tool verschafft Überblick – und wirkt quasi als Pranger. Es zeigt auch, wie transparent die Schweizer Uni-Kliniken und Pharmakonzerne sind.

, 10. November 2016 um 08:01
image
  • forschung
  • trends
  • medikamente
  • pharma
Ins Geschäft mit den klinischen Tests kommt mehr und mehr Licht. Der neuste Strahl ist Trialstracker, entwickelt an der Universität Oxford. Die Site informiert darüber, welche klinischen Studien nicht veröffentlicht wurden – und wer in diesem Bereich besonders nachlässig ist.
«Who's not sharing their trial results?», lautet – in greller Farbe – die Eingangsfrage: Wer teilt seine Testresultate nicht mit? Schliesslich wäre es eine wissenschaftliche Ehrenfrage (und in vielen Ländern gesetzlich vorgeschrieben), dass einmal gestartete klinische Versuche veröffentlicht werden – unabhängig vom Resultat.
Denn bekanntlich können die Einsichten des Versagens genauso wichtig und vielsagend sein wie ein Erfolg.

Kummerbuben Universitäten

Doch eben: Der Anspruch wird – gelinde gesagt – schlampig umgesetzt. Bei rund der Hälfte der klinischen Versuche bleiben die Ergebnisse unter Verschluss, auch in Europa, auch in der Schweiz. Interessanterweise sind staatliche und universitäre Institutionen dabei sogar nachlässiger: Die Quote der abgeschlossenen, aber nicht publizierten Studien liegt hier bei etwa 60 Prozent. Dies ist umso erstaunlicher, als diese Organisationen – im Gegensatz zur Pharmabranche – sich weniger auf Konkurrenzdruck und betriebliche Geheimhaltungs-Interessen berufen können. 
Nimmt man allerdings die absoluten Zahlen, so bleiben weitaus mehr Untersuchungsergebnisse der Pharmaindustrie im Dunkeln. Zusammengefasst: Im Jahr 2014 wurden weltweit knapp 1'400 klinische Versuche abgeschlossen, ohne dass die Verantwortlichen die Ergebnisse veröffentlicht hätten.
image
Interessant nun, wer denn wie diszipliniert ist: Der Trialstracker listet die nach neustem Stand angekündigten Versuche auf (derzeit: Oktober 2016), und zeigt dann die Quote jener Tests, die abgeschlossen bis heute nicht veröffentlicht sind.
Auf Rang 1 der Nachlässigkeit in absoluten Zahlen: Sanofi – hier stehen von insgesamt 435 Versuchen bei 285 die Ergebnisse aus, macht eine Quote von 65 Prozent. Als nächstes folgt Novartis: 534 Versuche – und von 201 weiss man nicht, was herauskam dabei; macht eine eher tiefe Quote von 37 Prozent. Die prominente Position kommt also daher, dass Novartis überdurchschnittlich viele Tests aufstartet. Hoffmann-La Roche kommt mit 121 offenen Tests (Quote: 28 Prozent) auf Rang 15.
Nimmt man die Quoten der unveröffentlichten klinischen Versuche, so fallen diverse Schwellenländer-Institutionen negativ auf (Universität Nanjing, Universität Isfahan, aber auch diverse französische Universitäten wie jene von Caen, Saint-Etienne oder Rouen) – mit Anteilen über 85 Prozent. Sehr transparent präsentieren sich auf der anderen Seite angelsächsische Grosskonzerne wie Bristol-Myers Squibb (4,3 Prozent), Eli Lilly (5,1 Prozent), Johnson & Johnson Pharmaceutical (5,2 Prozent), Allergan (5,4 Prozent) sowie die Roche-Tochter Genentech (5,7 Prozent).
Die Schweizer Universitäten landeten derweil solide im Mittelfeld:

  • Universität Zürich: 85 angekündigte klinische Versuche, 39 nicht veröffentlicht (45,9 Prozent)
  • Universitätsspital Basel: 64 angekündigte klinische Versuche, 38 nicht veröffentlicht (59,4 Prozent)
  • Inselspital Bern: 54 angekündigte klinische Versuche, 29 nicht veröffentlicht (53,7 Prozent)
  • Hopitaux Universitaires de Genève: 49 angekündigte klinische Versuche, 24 nicht veröffentlicht (49 Prozent)

image

OpenTrials: Das Wikipedia für die klinische Forschung


Mitte Oktober wurde – ebenfalls in England – das Projekt OpenTrials lanciert. Die neue Site versteht sich quasi als Suchmaschine oder Lexikon zum Thema klinische Forschung: Alle verfügbaren Informationen aus und über geplante, laufende und vergangene Studien sollen hier gesammelt werden. 
Ob publizierte Arbeiten, Pressecommuniqués, Patientenformulare oder Presseberichte über klinische Tests – alles soll hier leicht auffindbar sein, offen für das gesamte Publikum. 
Wer will, kann selber informieren
Lanciert wurde OpenTrials von zwei britischen Organisationen, die aus der Medizinforschung in Cambridge respektive Oxford entstanden waren und mehr Transparenz im Bereich der klinischen Versuche schaffen wollen.
Speziell an OpenTrials ist auch, dass es sich zugleich auch als Aufruf versteht: Wer will, kann Daten, Informationen, Berichte aus und über medizinischen Versuchen einreichen.
«Wir hoffen, dass unsere Datenbank dazu führt, dass weniger Engagement verschwendet wird, weil die nötigen Informationen über klinische Versuche fehlten oder schwer zu finden waren», erläutern die Macher von OpenTrials in einem Communiqué (mehr hier).
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Swissmedic kennt bereits heute stark vereinfachte Zulassungsverfahren

Warum nicht die Zulassung von patentabgelaufenen Arzneimitteln vereinfachen? Weil es nichts bringt.

image

Zigarettenab­fälle verbreiten resistente Keime

Wenn Zigarettenfilter in Gewässern landen, können sich darauf krankheitserregende Keime und Bakterien mit Antibiotikaresistenzen ansiedeln, zeigt eine Studie.

image
Ein Kommentar von Enea Martinelli

Arzneimittel: Vom Engpass in die Kostenfalle

Es mag oft zufällig wirken, wenn ein bestimmtes Medikament fehlt. Aber die Folgen haben System. Der Musterfall eines Herzmittels zeigt, wie am Ende die teuerste Lösung übrig bleibt.

image

Spitäler entsorgen Fentanyl unbürokratisch

In Schweizer Spitälern werden jährlich Zehntausende von Ampullen Fentanyl gebraucht. Die Reste werden entsorgt – ohne Dokumentation.

image

Weniger Kosten nach Neueinstufung der Medikamente

Die Umteilung bestimmter Heilmittel hat nur einen Viertel von dem gekostet, was die Hersteller prophezeit haben.

image

Weniger Umsatz mit neuen Medikamenten - dafür mehr mit Generika

Der Generika-Umsatz in der Schweiz knackte 2024 mit 1,05 Milliarden Franken erstmals die Milliarden-Grenze.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.