Tertianum-CEO: «Wir müssen beim Betriebsklima ansetzen»

Die Pflegebranche ist unter Druck und buhlt um Arbeitskräfte. Luca Stäger, CEO bei der Tertianum-Gruppe, erklärt, wie er die Fluktuationsrate senken will. Einen Mangel gibts vor allem bei Führungskräften und Diplomierten.

, 8. Juli 2019 um 20:43
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Herr Stäger, was macht Tertianum konkret, damit ihre Mitarbeiter auch nach dem AHV-Alter weiter arbeiten?

Wir fragen unsere Mitarbeiter, ob sie weiter arbeiten möchten. Wenn ja, werden wir sie selbstverständlich weiterbeschäftigen.

Machen Sie das wirklich?

Selbstverständlich. Wir müssen die Leute darauf aufmerksam machen, dass diese Möglichkeit besteht. Wir haben regionale Strukturen und dort haben wir Personalberater, die unsere Mitarbeiter entsprechend informieren.

Und wie sieht es aus? Haben Sie Erfolg?

Wer in der Pflege und Hauswirtschaft arbeitet, freut sich meist sehr auf die Pensionierung und hat kaum das Bedürfnis, weiter zu arbeiten. Im Kader ist jedoch die Bereitschaft eher vorhanden, länger zu arbeiten.

Interessant: Dort, wo der Mangel an Arbeitskräften am grössten ist, ist die Bereitschaft zur Weiterbeschäftigung am geringsten.

Jein. Vor allem in Führungspositionen der Pflege mangelt es an Fachkräften. Sie haben grosse Herausforderungen zu bewältigen und sind gewaltig unter Druck. Insbesondere das Planen von Pflegefachpersonen ist schwierig. Viele unter den Pflegenden sind Doppelverdiener, haben Familien, arbeiten Teilzeit und doch muss man einen 24-Stunden-Betrieb am Laufen halten. Eine äusserst komplexe und anspruchsvolle Aufgabe.

Und bei den Hilfspersonen?

An Hilfspersonen mangelt es weniger. Wenn wir eine Stelle ausschreiben, haben wir viele Bewerbungen. Einen grossen Arbeitskräftemangel haben wir hingegen auch bei den diplomierten Pflegefachpersonen.
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    Luca Stäger,

    vor 52 Jahren geboren, ist seit 2010 CEO bei Tertianum. Damals gehörte die Betreiberin von Seniorenresidenzen der Zürcher Kantonalbank (ZKB), Helvetia, Swiss Re und dem Bauunternehmen Marazzi. 2013 übernahm dann das Immobilienunternehmen Swiss Prime Site die Tertianum-Gruppe und damit Immobilien im Wert von 435 Millionen Franken. Zuvor war Stäger Direktionspräsident der Schweizer Paraplegiker Gruppe in Nottwil. Und noch früher leitete der St.Galler-Absolvent die Spital Lachen AG und die Privatklinik Bethanien in Zürich, die heute Swiss Medical Network gehört.

Viele Frauen machen eine Auszeit und haben deshalb Lücken in der Pensionskasse. Sie sollten doch ein besonderes Interesse haben, wenigstens Teilzeit übers AHV-Alter hinaus zu arbeiten?

Das kommt ganz auf die Umstände an. Wir haben gerade unsere Pensionskasse gewechselt und sind bei dieser Gelegenheit der Frage nachgegangen, ob unsere Mitarbeiter die Rente oder das Kapital beziehen. Ein erstaunlicher Teil bevorzugt das Kapital. Wir schliessen daraus, dass sie in ihre Heimat zurückkehren und sich mit dem Geld eine neue Existenz aufbauen.

Es könnte auch heissen, dass der Mann ein hohes Renteneinkommen aufweist, so dass die Frau das Kapital nimmt, um nicht in eine hohe Steuerprogression zu geraten.

Möglich. Aber wir müssen auch feststellen, dass noch etwas ganz anderes für den Kapitalbezug spricht: die Senkung des Umwandlungssatzes.

Sinkt der Umwandlungssatz; sinkt die Rente. Daher müsste doch der Anreiz für eine Verlängerung der Erwerbstätigkeit erst recht zunehmen?

Das mag für Jüngere zutreffen. Ich spreche aber von den Personen, die ein oder zwei Jahre vor der Pensionierung stehen. Sie machen die Rechnung, dass sie bei einer vorzeitigen Pensionierung versicherungsmathematisch von einem höheren Umwandlungssatz profitieren können.

Eine Weiterbeschäftigung ist für viele nur dann erstrebenswert, wenn sie die BVG-Rente hinausschieben können und der Arbeitgeber weiterhin seine Beiträge zahlt.

Das tun wir. Von unseren derzeit 4800 Mitarbeitenden sind aktuell 65 Mitarbeitende über 64 beziehungsweise 65 Jahre alt. Wer in der Pensionskasse versichert bleiben möchte, kann das. Und ja: selbstverständlich bezahlen wir den Arbeitgeberbeitrag.

Was unternehmen Sie gegen die überdurchschnittlich hohe Fluktuationsrate?

Sie ist nicht überdurchschnittlich hoch. Mit rund 15 Prozent liegen wir im Mittel der Branche, was aber nicht heissen will, dass sie kein Problem darstellt. Wir haben Betriebe mit höheren und solche mit tieferen Fluktuationen. Um die Fluktuation zu reduzieren, müssen wir bei der Betriebskultur ansetzen.

Es tönt immer sehr einfach.

Es gibt drei Arten von Fluktuationen. In der Gastronomie beispielsweise gehören Wanderjahre gewissermassen zur Karriere. Dagegen können wir nichts tun. Dann gibt es Leute, die wegen dem Lohn wechseln. Daran können wir auch nichts ändern. Handeln müssen wir jedoch in jenen Fällen, in welchen uns unsere Leute wegen des Betriebsklimas oder dem Klima innerhalb des Teams verlassen.

Was machen Sie konkret dagegen?

Wir haben unseren Geschäftsführern eine Leadership-Ausbildung angeboten. Diese Weiterbildung ist derzeit am Laufen. Neu werden wir nun auch ähnliche Kurse für unsere Bereichsleiter organisieren. Da reden wir von 350 bis 400 Personen. Ich bin überzeugt, dass wir damit einen Teil unserer Fluktuation verhindern können.

Wenn Sie mehr Lohn zahlen, könnten Sie die Fluktuation auch senken.

Die Höhe des Lohns richtet sich nach der Höhe der Restfinanzierung, die wir vom Kanton erhalten. Ich kann im Thurgau keine Zürcher Löhne zahlen. Sollten uns die Kantone pro Arbeitsminute eine um 30 Rappen höhere Restfinanzierung entrichten, so können wir dort auch die höheren Zürcher Löhne anbieten.

Tertianum hat mit Seniocare und Boas Senior Care zwei Pflegeheimketten gekauft. Was hat Sie dazu bewogen?

Als Tertianum 2013 von der Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site gekauft wurde, standen wir vor der Frage, ob wir weiter wachsen wollen. Der Verwaltungsrat meinte ja, so dass wir unser Angebot von 13 auf 80 Standorte erweitern konnten.

Wachsen um des Wachsens willen?

Wir wollen in der ganzen Schweiz vertreten sein. In der Romandie waren wir vor der Akquisition von Boas Senior Care überhaupt nicht vertreten. Zudem waren wir in gewissen Regionen schwach vertreten. Zum Beispiel in der Ostschweiz, wo Seniocare stark ist, hatten wir vorher nur zwei Betriebe. Heute sind wir in 17 Kantonen tätig.

Was verfolgen Sie für eine Markenpolitik? Die Häuser von Seniocare haben ja nicht den gleichen Standard wie Tertianum und doch sind sie nun mit Tertianum beschriftet.

Wir machen die Differenzierung auf Produktestufe. Nehmen wir das Beispiel Mercedes. Sie können sich für die A-Klasse oder S-Klasse entscheiden. Die alten Tertianum, also die S-Klasse, nennen wir Residenzen, die ehemaligen Seniocare-Heime, die A-Klasse, nennen wir Wohn- und Pflegezentren.

Also segeln auch die weniger komfortablen Heime unter der Marke Tertianum. Die Differenzierung zwischen Residenzen und Wohn- und Pflegezentren versteht doch kein Mensch.

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder verschleudert man Millionen für Marketingkampagnen, oder wir machen es lokal und überzeugen die Leute vor Ort. Unser Business ist global, aber auch lokal. 90 bis 95 Prozent unserer Gäste stammen aus dem Umkreis von fünf Kilometer vom Betrieb. Darüber hinaus investieren wir grosse Summen, um die Infrastruktur der ehemaligen SENIOcare Betriebe zu verbessern. Darüber hinaus investieren wir in die Infrastruktur, um einheitliche Standards zu erreichen.

In Ihrem Sortiment haben Sie auch reine Pflegeheime, also ohne betreutes Wohnen. Wird das so bleiben?

Nein. Mittelfristig werden wir an allen Standorten betreutes Wohnen mit einer integrierten Pflegeabteilung haben. Das ist das Modell der Zukunft.

Was ist der Vorteil, als Pflegeheimgruppe Teil einer börsenkotierten Immobiliengesellschaft zu sein?

Gemeinsam mit dem Immobilienunternehmen Swiss Prime Site können wir die Aufgabenteilung unseren Kompetenzen besser regeln. Während wir die Häuser betreiben und uns auf die Pflege und Betreuung konzentrieren, kümmert sich die Swiss Prime Site um den Bau und die Bewirtschaftung der Gebäude.

Und der Nachteil?

Nachteilig ist, dass wir als börsenkotierte Gesellschaft unsere Zahlen offen legen müssen. Würden wir da zu hohe Gewinne ausweisen, ist das in einer staatlich derart regulierten Branche heikel. Es gibt Leute, die finden, Pflegeheime dürften keine Gewinne erwirtschaften. Aber ohne Gewinne wäre es uns übrigens nicht möglich in den Unterhalt und die Weiterentwicklung unseres Produktes zu investieren.

Naja, es gibt ja so etwas wie eine kreative Buchführung.

Das können Sie vergessen. Vorher, als wir nicht börsenkotiert waren, konnten wir laut OR hohe Abschreibungen vornehmen und damit den Gewinn reduzieren. Heute unterliegen wir strengen Rechnungslegungsvorschriften.

Also kann man ihre Ebit-Marge im Geschäftsbericht nachlesen?

Ja, 2018 betrug 5,8 Prozent.

Nicht wirklich hoch. Man sagt, Spitäler müssten eine Ebit-Marge von 10 Prozent erreichen, um ihre Investitionen tätigen zu können.

Ja, auch die Wohn- und Pflegeheime im Ausland erreichen Ebit-Margen um die 10 Prozent.
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