Sturmgewehr reinigen als Therapie: St. Gallen lässt Psychiater weiter praktizieren

Trotz zweifelhaften Therapieansätzen verfügt ein deutscher Psychiater weiterhin über eine Berufsausübungsbewilligung im Kanton St. Gallen.

, 17. Dezember 2018 um 09:00
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Ausschlüsse aus Fachgesellschaften kommen relativ selten vor. Trotzdem wurde ein deutscher Arzt mit Praxis im sankt-gallischen Wil bereits aus zwei Gesellschaften ausgeschlossen: aus der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) und aus dem Verband EMDR Schweiz. Der Grund: unter anderem das Fehlen adäquater Rahmenbedingungen für die Therapie und weltanschauliche Indoktrination, wie die «Neue Zürcher Zeitung» berichtete.
«Der Fall zeigt, was bei einer Psychotherapie alles falsch laufen kann», kommentiert die Zeitung. So überschritt der Arzt zahlreiche therapeutische Grenzen bei der Behandlung einer schwer traumatisierten Patientin: Die NZZ nennt eine Sturmgewehr-Reinigung, ein 41-Kilometer-Marsch, Berührungen am Oberschenkel oder Ratschläge für engere Oberteile. Die Patientin, die früher unter anderem als Polizistin und Rettungssanitäterin arbeitete, wurde als Kind sexuell missbraucht.

«Einbezug religiöser Elemente zulässig»

Der Arzt versuchte auch, seine Patientin mit anthroposophischem Gedankengut zu indoktrinieren: Er schickte ihr per Mail Texte von Rudolf Steiner und brachte sie beinahe so weit, der von Steiner inspirierten Christengemeinschaft in Konstanz beizutreten. Der Mann nahm die Patientin auch zu entsprechenden Veranstaltungen mit –und verstiess gegen das Verbot für ein privates Abhängigkeitsverhältnis.
Der Psychiater selbst behauptet in einem Schiedsverfahren der DeGPT, die Grenzverletzungen seien nicht von ihm ausgegangen, sondern von der Patientin. So habe sie ihn in manchen Phasen 60- bis 100-mal innert 24 Stunden elektronisch kontaktiert, was die Frau bestreitet. Trotzdem räumt er auch eigene Fehler auf Grund mangelnder Erfahrung ein. Aber aus seiner Sicht sei der Einbezug religiöser Elemente in einer «modernen synthetischen» Psychotherapie zulässig.

Behörden blieben bisher untätig

Zusätzlich zu den Ausschlüssen aus den Fachgesellschaften läuft gegen den Arzt ein Strafverfahren, wie die NZZ weiter berichtet. Inzwischen habe er sich in eine deutsche Grossstadt verabschiedet; seine Praxis in Wil betreibe er aber weiter. Die Bewilligung dazu kann ihm nur das St. Galler Kantonsarztamt entziehen.
Ob diesbezüglich bereits eine Untersuchung läuft, dazu will sich die St. Galler Kantonsärztin gegenüber der Zeitung nicht äussern. Sie schreibt allgemein, dass bei einer Beschwerde Abklärungen getroffen und allenfalls externe Gutachten eingeholt würden. Sie verweist jedoch darauf, dass der Psychiater über eine gültige Berufsausübungsbewilligung im Kanton St. Gallen verfüge.
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