Der fiese Zwillingsbruder des Placebo-Effekts heisst Nocebo. Ärzte tun gut daran, diesen Effekt stets im Hinterkopf zu behalten. Vor allem, wenn es darum geht, Patienten über Nebenwirkungen von Cholesterinsenkern zu informieren. Dies zumindest besagt eine aktuelle Studie, die im Fachmagazin «International Journal of Cardiology» im Sommer veröffentlicht wird.
Ein Forscherteam aus Toronto untersuchte in 13 Ländern auf fünf Kontinenten die Statin-Unverträglichkeit von Patienten. Die Zahlen über die Nebenwirkungen wie etwa Muskelbeschwerden lieferten Haus- und Fachärzte. Nach der Aufbereitung der Intoleranzraten verglichen die Wissenschaftler die Daten mit einem zweiten Parameter: die Anzahl der über die Google-Suchmaschine gefundenen Webseiten mit Informationen über die Auswirkungen der Cholesterinsenker.
Und siehe da: Es gab eine Korrelation zwischen höheren Raten von Patienten mit Nebenwirkungen und der Anzahl der verfügbaren Internetseiten mit Infos zu diesem Thema. Der Pearson-Korrelationskoeffizient zwischen diesen beiden Variablen betrug 0,868 – war also doch recht hoch.
Sarah Khan, Anne Holbrook, Baiju R. Shah Does Googling lead to statin intolerance? (Abstract), in: «International Journal of Cardiology», Juli 2018.Korrelation ist noch lange keine Kausalität
Der Zusammenhang war besonders in englischsprachigen Ländern wie Kanada, den Vereinigten Staaten, Grossbritannien und Australien festzustellen. Anders verhielt es sich in asiatischen und osteuropäischen Ländern: Dort war die Intoleranzrate niedriger – und entsprechend auch die Anzahl an Online-Informationen. Studienleiter Baiju Shah vom Sunnybrook Health Sciences Center in Toronto vermutet, dass die Verfügbarkeit von Informationen eine Rolle spielen könnte.
Klar: Nur weil sich zwei Datensätze ähnlich verhalten – also miteinander korrelieren – ist eine Ursache-Wirkung-Beziehung noch weit davon entfernt. Trotzdem zeigt die Studie, dass der durch Internet-Recherchen ausgelöste Nocebo-Effekt zur Statin-Intoleranz beitragen könnte.
Worte vernichten – Worte heilen
Obwohl die Psychologie hinter dem Nocebo-Effekt noch viele Unklarheiten aufweist, werfen die Forschungsergebnisse wieder einmal die Frage auf, ob die Offenlegung von Informationen über Nebenwirkungen tatsächlich die Gesundheit der Patienten schädigen könnte? Patienten, die Nebenwirkungen von Medikamenten kennen, könnten diese also eher erleben, wie die Studie andeutet.
Die Lösung liegt darin, wie diese Informationen übermittelt werden: Pharmafirmen und Ärzte sollten deshalb darauf pochen, Patienten besser auf den medizinischen Nutzen einer Behandlung als auf die möglichen Nebenwirkungen einzuschwören. Positiv formulierte Worte lenken die Erwartung: «Nach der Spritze wird es Ihnen besser gehen» statt «Achtung, die Spritze brennt». So gesehen sind Worte (fast) das mächtigste Werkzeug, über das die Medizin verfügt.