So schlecht steht es um die Schweizer Spitäler

Nur eine Handvoll Spitäler erarbeitet so viel Geld wie nötig. Dennoch negiere die Branche die drohenden Konsequenzen, warnen Experten. Das kann einschneidende Folgen haben.

, 12. August 2019 um 14:00
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Es war eine Revolution. Die KVG-Revision im Bereich der Spitalfinanzierung brachte 2012 die Fallpauschalen ins stationäre Spitalwesen - und liberalisierte die Spitallandschaft. Finanzierten zuvor die Kantone die Spitäler, müssen letztere nun beispielsweise ihre Neubauten selber finanzieren. Auch alle anderen Investitionen und Aufwände müssen die Spitäler von Gesetzes wegen eigentlich selber bestreiten.
Damit dies gelingt, müssen die Spitäler eine EBITDA-Marge - also dem Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und sonstigen Finanzierungsaufwendungen - von 10 Prozent erarbeiten. Dieser einst vom Wirtschaftsprüfer PWC definierte Wert haben inzwischen auch viele Kantone und Spitäler in ihren Strategiepapieren als Vorgabe definiert.

Hohe Investitionen, hohe Abschreibungen

Die Marge ist auch deshalb so hoch, weil Spitäler hohe Investitionen in Gerätschaften und Infrastruktur tätigen müssen wenn sie konkurrenzfähig bleiben wollen - und technisch und baulich auf dem neusten Stand. Diese Investitionen verursachen neben hohe Zinsen auch über Jahre zu tätigende Abschreibungen. Ist die EBITDA-Marge zu tief, drohen die Jahresrechnung ob dieser Posten in die roten Zahlen zu rutschen.

Nur fünf Spitäler erfüllen Vorgabe

Doch spätestens da fangen die Probleme vieler Spitäler an. Eine EBITDA-Marge von 10 Prozent erreicht in der Praxis kaum ein Spital. Das zeigt eine kürzlich publizierte Auswertung des Vereins Spitalbenchmark, der Spitaldaten aufbereitet. Von über 100 Schweizer Spitalunternehmungen erreichten nur fünf eine EBITDA-Marge von 10 Prozent oder höher. Im Schnitt betrug die EBITDA-Marge niedrige 5,5 Prozent. Sprich, die überwiegende Mehrheit der Spitäler verfügt nicht über die Finanzkraft, die zu tätigenden Investitionen zu refinanzieren.

«Spitäler sind sich Risiken nicht bewusst» 

Und der Zustand der Spitalbranche ist noch dramatischer, als es die Statistik auf den ersten Blick zeigt. Gesundheitsökonom Heinz Locher warnt gegenüber von Medinside davor, dass die Spitalunternehmendie drohende Gefahr unterschätzen. Dies indem sie

  • die der Höhe der tragbaren Investitionen überschätzen,
  • falsche Schlüsse ziehen zur der Bereitschaft von Kreditgebern, Kapital zur Verfügung zu stellen,
  • und sich durch relativ gute Eigenkapitalquote in falscher Sicherheit wiegen.

Denn selbst bei einer Ebitda-Marge von 10 Prozent operiert ein Spital längerfristig in aller Regel noch immer just an der Grenze zum Verlust. Das sagt Philip Sommer, Leiter Beratung Gesundheitswesen PWC. «Die 10-Prozent-Zielmarke ist plus/ minus ein Nullgeschäft und stellt somit einzig die Eigenfinanzierung der Spitäler sicher». Gewinne schreibt ein Spital dann also noch immer nicht. Und somit liegen auch bei einer zehnprozentigen EBITDA-Margen keine Fehlplanungen drin. Sommer dazu: «Sollte zu teuer oder zu gross investiert werden, reicht auch eine EBITDA-Marge von 10 Prozent nicht aus.»

Zukunft der Spitäler gefährdet

Zudem: Wenn eine 10-Prozent-EBITDA-Marge unter dem Strich eine schwarze Null ergibt, ist dies auch gleichbedeutend mit der Tatsache, dass die meisten Spitäler über ihren Verhältnissen leben. Und wenn die EBITDA-Ziele über einen längeren Zeitraum nicht erreicht werden, hat dies Auswirkungen. Bei einem EBITDA-Marge von unter 10 Prozent sinkt der Gewinn wie oben beschrieben bald in den negativen Bereich. Das Unternehmen schreibt Verlust; das Eigenkapital wird aufgezehrt. Die nachhaltigen Sicherung dieser Unternehmen ist gemäss Sommer gefährdet. 

Die Steuerzahler müssen einspringen

Doch was passiert, wenn das Eigenkapital aufgezehrt ist? Dann bleiben einem Spital gemäss den beiden befragten Experten mehrere Möglichkeiten: 

  • Der Weiterbetrieb in veralteter oder deutlich reduzierter Infrastruktur, da Investitionen für das Spital langfristig nicht tragbar sind,
  • Einschuss von Eigenkapitalbeiträge durch den Träger; bei öffentlichen Spitäler über den Kanton und damit die Steuerlast des Bürgers,
  • Einstellung des Weiterbetriebs und damit eine Konsolidierung innerhalb des Spitalmarkts
  • oder eine grundlegende strategische Neuorientierung.
Schlechte Infrastrukturen, Schliessungen, zusätzliches Steuergeld: Dieser Optionen haben für die Gesellschaft weitreichende Konsequenzen und dürften auch deshalb weit über das Gesundheitswesen hinaus für hitzige Debatten sorgen. Die tiefen EBITDA-Margen im Spitalwesen besitzen deshalb gesellschaftliche Sprengkraft.

Die EBITDA-Krise - Spitäler in Schieflage
Im zweiten Teil beleuchtet Medinside, weshalb die Spitäler Mühe haben, genügend EBITDA zu erarbeiten - und wie die Auswege aus der derzeitigen finanziellen Schieflage aussehen könnte.
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