So heilte die Swissair Keuchhusten

Keuchhustenflüge: So hiessen die einstündigen Flüge mit offenen Fenstern, welche die Swissair früher für Kinder anbot. Auch mit therapeutischen Seilbahnfahrten wurde experimentiert.

, 31. Juli 2019 um 07:58
image
  • ärzte
  • keuchhusten
  • antibiotika
  • impfung
Es dürfte für die kleinen Patienten eine der vergnüglicheren Therapien gewesen sein: Litten Kinder unter Keuchhusten, wurden sie zum Flugplatz Dübendorf gefahren. Dort verfrachtete man sie in eine Fokker. Bei offenen Kabinenfenstern stieg das Flugzeug dann in eine Höhe von etwa 3000 Metern und kreiste dort während einer Stunde herum.
«Nach ärztlicher Statistik konnte in 80 Prozent der Fälle eine merkliche Besserung oder Heilung des Keuchhustens nach dem Höhenflug festgestellt werden.» So warb die Swissair in den Dreissiger und Vierziger Jahren für ihre so genannten Keuchhustenflüge.

50 Franken pro Passagier

«Bei einer Beteiligung von 6 Personen kommt ein Flugpreis von Fr. 50.- pro Passagier zur Anwendung», hiess es im Prospekt, den die Swissair für ihr Angebot druckte. Auch die Alpar im Berner Belpmoos veranstaltete solche Keuchhustenflüge. Sie flog damals über 100 Mal mit gut 500 Patienten. Die Fluggesellschaften stiessen mit ihrem Angebot trotz des für damalige Verhältnisse stolzen Preises auf reges Interesse.
Denn die Veränderung des Luftdrucks verschaffte den hustenden Kindern nachweislich Erleichterung. Diese Erkenntnis dürfte nicht zuletzt einigen Appenzeller Müttern zu verdanken gewesen sein: Diese hatten nämlich gemerkt, dass es Kindern, die an Keuchhusten erkrankt waren, deutlich besser ging, wenn sie mit ihnen in der Schwebebahn auf den Säntis fuhren.

Heilung auf der Fahrt auf den Säntis

In seinem Buch «Säntis – Berg mit bewegter Geschichte» schreibt der Autor Adi Kälin über Berta Zuberbühler aus Herisau, die dem Arzt Eugen Bircher über einen sensationellen Heilungserfolg berichtete: Ihr neun Monate altes Kind war schwer an Keuchhusten erkrankt. Vier Wochen lang sei sie nicht ins Bett gekommen, weil das Töchterchen 50 Anfälle pro Tag gehabt habe, schrieb Frau Zuberbühler ihrem Arzt.
Erst eine Fahrt mit der Schwebebahn auf den Säntis habe Linderung gebracht. Das Kind nahm erstmals seit vier Wochen wieder Milch und Brot zu sich, ohne gleich wieder zu erbrechen. Auch hustete es nur noch wenig. Der Hotelier auf dem Säntis hatte Mutter und Tochter sogar Liegestühle auf die Terrasse gestellt, wo sie neuneinhalb Stunden in der Sonne lagen. Es gebe nichts Besseres gegen Keuchhusten, fasste Frau Zuberbühler ihre Erfahrungen zusammen.

Kispi und Zürcher Stadtrat planten Keuchhustenstation auf dem Säntis

Die Schwebebahn bot bald darauf Spezialtarife für keuchhustenkranke Kinder an. Der Zürcher Stadtrat und das Kinderspital planten sogar eine Keuchhustenstation auf dem Säntis. Doch da kamen den Betreibern plötzlich Bedenken: Das Publikum könnte sich vor einer Ansteckung fürchten. Oder: «Ereignet sich ein Erstickungsanfall in einer stark besetzten Kabine und kommt es dabei zum Erbrechen, so wird die Situation sehr peinlich.»
Die Pläne auf dem Säntis wurden aufgegeben. Die Mütter nutzten mit ihren kranken Kindern aber weiterhin die Bahn. Auch Aufenthalte in Gaswerken oder in Brauereien gehörten zu den alten Therapieformen von Keuchhusten.

Impfung und Antibiotika setzten den alten Therapien ein Ende

In den fünfziger Jahren hatten die Seilbahnfahrten und Flüge für die kleinen Patienten jedoch ein Ende, weil die Krankheit immer häufiger mit Antibiotika behandelt wurde und mit einer Impfung der Ausbruch verhindert werden konnte.
image
Junge Keuchhustenpatienten vor dem Flug in der Fokker F. VII a, HB-LBO, welche in Dübendorf startete. | Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv der Stiftung Luftbild Schweiz / Fotograf: Swissair
image
Manchmal begleiteten auf den Keuchhustenflügen die Mütter ihre Kinder. | Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv der Stiftung Luftbild Schweiz / Fotograf: Swissair
image
Manchmal waren auch Krankenschwestern bei den Flügen dabei. | Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv der Stiftung Luftbild Schweiz / Fotograf: Swissair
image
Zwischen 1939 und 1944 fanden die Keuchhustenflüge regelmässig statt. | Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv der Stiftung Luftbild Schweiz / Fotograf: Swissair
image
Die Keuchhustentherapie im Flugzeug war für die kleinen Patienten oft recht vergnüglich. | Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv der Stiftung Luftbild Schweiz / Fotograf: Swissair
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.

image

Zukunftsvisionen für die Gesundheitsversorgung

Beim Roche Forum 2024 diskutierten Expertinnen und Experten zentrale Herausforderungen der Schweizer Gesundheitsversorgung und setzten wertvolle Impulse für die Zukunft.

image

Ein «Curriculum» für junge Hausärztinnen und Hausärzte

Das Spital Bülach hat eine Lösung gegen den Hausärztemangel: Es bildet Ärzte und Ärztinnen speziell fürs Zürcher Unterland aus.

image

Neuer Präsident der Gesellschaft für Dysphagie

Bartosz Bujan von der Klinik Lengg wird Nachfolger von Jörg E. Bohlender

image

In Deutschland droht der nächste Ärzte-Streik

60'000 Spitalärzte prüfen den Ausstand. Womit die Streikwelle in Europas Gesundheitswesen bald den nächsten Höhepunkt erreichen könnte.

image

Einstimmig: Zürich soll Medizin-Studienplätze massiv ausbauen

Der Kantonsrat beauftragt die Regierung, zu berechnen, wie 500 zusätzliche Plätze geschaffen werden könnten.

Vom gleichen Autor

image

«Hausarzt ist kein Beruf, den man subventionieren muss»

Ein Arzt macht vor, wie eine Berggemeinde zu medizinischer Versorgung kommt. Und er kritisiert Kollegen, die einfach ihre Praxis schliessen.

image

Medikamente: Diese fünf Irrtümer müssen alle kennen

Epinephrin statt Ephedrin? Solche Verwechslungen können tödliche Folgen haben. Gut zu wissen, wo die grössten Gefahren lauern.

image

Pflegefachleute verschreiben so sachkundig wie Ärzte

Das dürfte das Pflegepersonal freuen: Es stellt laut einer US-Studie genauso kompetent Arzneimittel-Rezepte aus wie Ärzte.