Schon im Grundstudium droht das Burn-out

Dramatisch viele Medizinstudierende zeigen Symptome von Stress-Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen.

, 26. Juni 2015 um 08:49
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Gestern wurde hier berichtet, dass gestandene Mediziner überdurchschnittlich oft unter Burnout-Symptomen leiden. Jetzt zeigen Daten aus Deutschland, dass das Problem bereits beim Nachwuchs beginnt. 
Denn dramatisch viele Medizinstudierende zeigen bereits im Grundstudium Symptome von stressbedingten Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen. Dies besagen aktuelle Studien der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). 
«Uns ist aufgefallen, dass unsere Studierenden in Sprechstunden mit ihren Dozenten über die Jahre mehr und mehr von Stress und Prüfungsangst berichteten», sagen die Leiter der Studie, Michael Scholz vom Institut für Anatomie der FAU und Pascal Burger von der psychiatrischen Spezialklinik Meissenberg in Zug.

Mit der Semesterzahl steigt die Depressivität

Deshalb haben die Forscher in ihrer Studie mehrere Jahrgänge von Medizinstudierenden vom Start an der Universität bis zum ersten Staatsexamen am Ende des vierten Semesters untersucht. Basis waren Fragebögen, in denen die Studenten Auskunft gaben zu verschiedenen Aspekten ihrer mentalen Befindlichkeit. Das Ergebnis:

  • Zu Beginn des Studiums entspricht der Gesundheitszustand der angehenden Mediziner dem der Normalbevölkerung. 
  • Mit steigender Semesterzahl nehmen jedoch Depressivität, Ängstlichkeit und Burn-out-Beschwerden deutlich zu. 
  • Am Ende des zweiten Studienjahres war die Zahl der zumindest leicht depressiven Studierenden fast doppelt so hoch wie bei den Studienanfängern. 
  • Gleichzeitig waren immer weniger Studierende in der Lage, Abstand zu den Belastungen des Studiums zu gewinnen. Sie lernten beispielsweise Tage und Wochen am Stück – ohne grosse Pausen. Je ausgeprägter dieses Lernverhalten war, desto ausgeprägter waren Stresssymptome der Studierenden.

«Wer angehenden Ärzten beibringt, die Gesundheit von Patienten zu steuern, muss ihnen auch beibringen, den eigenen Stress zu managen», urteilen die Autoren der Studie. 

Auf andere Universitäten übertragbar

Wie wirkungsvoll bestimmte Stressbewältigungstechniken sind, untersuchten die FAU-Mediziner in einer weiteren Studie. Dabei erhielten Studierende im Rahmen eines Wahlfaches Einführungen in die Anwendung von Entspannungstechniken, etwa Autogenem Training oder Progressiver Muskelentspannung. Und siehe da: Die mentale Befindlichkeit der Teilnehmer besserte sich nach Kursabschluss deutlich.
«Obwohl an unseren Studien nur Studierende der Universität Erlangen-Nürnberg teilgenommen haben, sind unsere Ergebnisse auch auf andere Universitäten übertragbar, zumal internationale und an anderen deutschen Hochschulstandorten durchgeführte Studien durchaus vergleichbare Resultate erbrachten», sagt Michael Scholz. 
Die Forscher planen nun, den Medizinstudierenden ab nächstem Wintersemester ein Wahlfach zum Erlernen von Entspannungstechniken zur Stressbewältigung anzubieten.

  • Zur Mitteilung: «Angehenden Ärzten drohen Depression und Burn-out», FAU/IDW-Online Juni 2015.

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