Neuer Tarmed: Die Haus- und Kinderärzte wursteln sich durch

Wie wirkt sich der Tarifeingriff des Bundesrats auf den Praxisalltag aus? Eine grosse Erhebung unter den Schweizer Ärzten zeigt: Vieles läuft anders als vorgesehen.

, 28. September 2018 um 20:00
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Es ist eine grosse Erhebung, welche der Verband der Haus- und Kinderärzte mfe da vorlegt. Gut ein halbes Jahr, nachdem der neue Ärztetarif in Kraft trat, liess mfe fast 1’400 Mitglieder in der ganzen Schweiz befragen: Wie wirkt sich das neue System im Alltag aus, wo liegen die Probleme, wie reagieren die Praxen?
Die Ergebnisse wurden nun vorgestellt in «Primary & Hospital Care». Danach berichten fast die Hälfte der Befragten allgemein von Problemen. Und die Zahlen werden deutlich höher, wenn es konkret um die Limitationen geht: Fast neun von zehn befragten Haus- und Kinderärzten erklären, dass hier ein eher grösseres oder sehr grosses Problem entstanden ist (86,2 Prozent). 


Fast die die Hälfte der Allgemein-Praktiker stehen wegen des Wegfall von Handlungsleistungen vor grössere Probleme (49,4 Prozent).
Der heikelste Punkt sind dabei die – bereits im Vorfeld heftig debattierten – «Leistungen in Abwesenheit». Die hier von Bundesrat Alain Berset geforderten und erlangten Begrenzungen stellen die Haus- und Kinderärzte vor klare Herausforderungen: 87 Prozent der Befragten sagten allgemein aus, ergebe sich ein sehr oder eher grosses Problem.
Und noch konkreter: Fast zwei Drittel antworteten, sich täglich mit entsprechenden Schwierigkeiten herumzuschlagen (63 Prozent) – sowie fast ein Drittel mindestens einmal pro Woche (32 Prozent).
Interessant nun, wie die Ärzte darauf reagieren – nämlich nicht unbedingt nach Lehrbuch. Das heisst:

  • Entweder werden erbrachte Leistungen nicht in Rechnung gestellt: Fast jeder dritte Hausarzt meldete solche Fälle (30 Prozent). 
  • Oder die Ärzte weichen auf andere Tarifpositionen aus (42 Prozent).
  • Der «offizielle» Weg, nämlich Zeit-Überschreitungen im Kontakt mit den Versicherern anzugehen und zu lösen, wird von einer verblüffend kleinen Gruppe gewählt – die Quote liegt bei 2 Prozent.

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Wie reagieren die Ärzte auf Begrenzungen durch den neuen Tarmed? | Quelle | Grafik: «Primary & Hospital Care»
In einer summarischen Frage besagt die Erhebung auch: Fast neun von zehn Praxisärzten haben bei Problemen noch nie mit Versicherern nach einer Lösung gesucht (89,1 Prozent).

«Realitätsfremder»

Eine weitere Folge: Knapp jeder fünfte Haus- und Kinderarzt stellt Leistungen in Rechnung, obschon die Limitation erreicht ist, und wartet einfach auf die Reaktion der Versicherer.
«Der Tarifeingriff bewirkt genau das Gegenteil dessen, was er beabsichtigte», kommentiert Studienautor Yvan Rielle: «Statt sachgerechter wird er im Bereich der Hausarztmedizin realitätsfremder und behindert die medizinische Arbeit der Haus- und Kinderärzt/-innen mit ihren Patienten und mit deren Umfeld sowie ihre Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen.»
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