Wissenschaftler um
Andrea Superti-Furga von der Uni Lausanne und dem Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) haben neun Patienten identifiziert, die an einer bisher unbekannten Erbkrankheit leiden. Zwei Leiden – verzögerte Entwicklung und gestörtes Skelettwachstum – haben demnach eine gemeinsame Ursache: Einen Defekt im Gen NANS (für N-Acetylneuraminsäure-Synthase),
wie das CHUV mitteilt. Die Ursache der Symptome liege darin, dass Mutationen in NANS seine Funktion stören und damit die Produktion von Sialinsäure. Diese Zucker-ähnliche Substanz spielt beim Menschen eine wichtige Rolle bei der Interaktion zwischen Zellen.
Unterstützung für Synapsenbildung
«Sialinsäure kommt überall im menschlichen Körper vor, aber vor allem im Gehirn, das viel mehr davon enthält als das anderer Säugetiere», erklärt Superti-Furga vom Universitäts-Kinderspital Lausanne.
Im Gehirn unterstützt Sialinsäure die Bildung von Synapsen, also Nervenverknüpfungen. Dieser Stoff sei nicht nur für seine positive Wirkung auf die gesunde Entwicklung von Kindern bekannt, sondern auch dafür, die kognitive Leistung bei älteren Menschen zu erhöhen, heisst es in der Mitteilung.
Bei den neun Patienten wurden acht verschiedene Veränderungen im NANS-Gen entdeckt. Die Mutationen sind rezessiv, das heisst, wenn nur eine Kopie des Gens defekt ist, kommt die Krankheit nicht zum Vorschein. Sind beide Kopien des Gens – die vom Vater und die von der Mutter – mutiert, verlangsamte dies die Produktion von Sialinsäure.
Andrea Superti-Furga et al. «NANS-mediated synthesis of sialic acid is required for brain and skeletal development», in: «Nature Genetics». 23. Mai 2016
Therapiemöglichkeit für Betroffene?
Um die zentrale Rolle des NANS-Gens für die Entwicklung zu bestätigen, nutzten die Wissenschaftler Zebrafisch-Embryos, bei denen sie gentechnisch das Gen mutierten. Dies führte zu Störungen bei der Sekelettentwicklung der Fische. Gaben die Forscher jedoch Sialinsäure ins Aquarienwasser, normalisierte sich die Entwicklung der Fischembryos teilweise.
Die Schweizer Forscher aus Lausanne, die unter anderem mit Kollegen aus Zürich, Kanada, den Niederanden, Grossbritannien und Japan zusammenarbeiteten, untersuchen nun die Möglichkeit einer Therapie für die Betroffenen.
Pädiatrie-Professor Superti-Furga warnt jedoch vor zu früher Hoffnung: Man wisse noch nicht, wie wichtig die körpereigene Sialinsäure-Produktion für die Entwicklung sei. Weitere Studien müssen zeigen, ob die künstliche Gabe von Sialinsäure Betroffenen nützen könne oder nicht.
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