Mediziner im Glaubwürdigkeits-Test

Wieviele Füllungen empfehlen Zürcher Zahnärzte einem Patienten, bei dem gar nicht gebohrt werden muss? ETH-Ökonomen testeten 180 zufällig ausgewählte Zahnärzte – und liefern so den aktuellsten Beitrag zur Mengen- & Kostendebatte in der Medizin.

, 4. Oktober 2017 um 13:23
image
  • gesundheitskosten
  • zahnärzte
  • tarmed
  • praxis
Mehr Ärzte gleich mehr Kosten: So lautet ein Standardargument in der Dauerdiskussion um die Gesundheitskosten. Als Santésuisse-Präsident Heinz Brand es jüngst im «Tages-Anzeiger» wieder aufbrachte, fasste er allerdings umgehend eine Replik. «Falsch», schrieb der Kadiologe Michel Romanens in einem Gegenkommentar: «Nicht Arztpraxen verursachen Kosten, sondern Patientinnen und Patienten, die sich dort behandeln lassen.» Was zweifellos auch plausibel ist.
Ein heikler Punkt in der Debatte liegt darin, dass die Patienten oft schlecht beurteilen können, was denn genau die Diagnose wäre und welche Therapien angebracht sind. Sie lassen sich lenken, sie müssen sich beeinflussen lassen. Vieles im Gesundheitswesen basiert also auf Vertrauen, beziehungsweise umgekehrt betrachtet: Es gründet auf der Glaubwürdigkeit des medizinischen Personals.

Was hab ich? Was kostet das denn?

Drei Ökonomen der ETH Zürich haben dazu nun einen kleinen Test veranstaltet, ein Feldexperiment. Felix Gottschalk, Wanda Mimra und Christian Weibel schickten dafür einen vermeintlichen Patienten zu 180 zufällig ausgewählten Zahnärzten im Kanton Zürich. Der junge Mann bat jeweils um eine Untersuchung und Diagnose, zugleich stellte er ein Röntgenbild zur Verfügung – stets dasselbe. Dann fragte er nach einer Therapieempfehlung und nach den zu erwartenden Kosten.


Wie vier am Test beteiligte Zahnärzte zuvor befunden hatten, hatte der Patient provocateur lediglich eine sehr oberflächliche Kariesläsion, wo die Richtlinien der Zahnärztegesellschaft von invasiven Eingriffen wie Füllungen abraten. 
Das Ergebnis war dann doch zwiespältig: 

  • Einerseits war eine deutliche Mehrheit der getesteten Dentisten in der Tat zurückhaltend. 130 der 180 Zahnärzte schickten den Besucher am Ende einfach mit dem Befund nach Hause.
  • Das heisst umgekehrt: In 50 von 180 Fällen empfahlen sie eine Überbehandlung, also zu 28 Prozent. Der durchschnittliche Kostenvoranschlag erreichte 535 Franken, der Median lag bei 444 Franken.

Insgesamt wurden dem rührigen Patienten 13 verschiedene Zähne zum Eingriff empfohlen – wobei jener Arzt, der am meisten Füllungen anriet, gleich sechs Stück ins Visier nahm.
Interessanterweise suchte das ETH-Ökonomentrio auch nach Aspekten, die sich auf die Therapievorschläge auswirken könnten. Einerseits veränderten sie die Informationen, welche der Patient den Zahnärzten gab (und damit auch das vermeintliche Knowhow des Besuchers). Oder sie veränderten den Look und Auftritt – also den vorgespielten sozioökonomischen Status.

Je reicher, desto vorsichtiger?

Hier rieten die Zahnärzte dem ärmlicher auftretenden Patienten eher zu unnötigen Massnahmen (also zu Geldaufwendungen), als wenn dieselbe Testperson einen höheren sozioökonomischen Status vorgaukelte. Das erstaunt auf den ersten Blick, und die Gründe sind unklar. Gottschalk et al. werfen ein, dass langfristige Überlegungen hineinspielen könnten: Durch das zurückhaltende Therapieangebot lasse sich womöglich eher eine langfristige Beziehung zu diesem interessanten Patienten aufbauen. Oder aber ein hoher sozioökonomischer Status könnte bessere Kenntnisse signalisieren, was eine gewisse Vorsicht nahelegen würde.
Dem widersprach allerdings, dass der Patient in der Rolle des «Gutinformierten» nicht signifikant andere Ratschläge erhielt.

Es hängt ab von den Wartezeiten

Keine Zusammenhänge herstellen konnten die Autoren zwischen Therapievorschlag und Zahnarztdichte in der Gegend – ein Aspekt, der im Rahmen der Zulassungs-Diskussion doch noch zu beachten wäre. Signifikant häufiger aber rieten die Getesteten zu einer Überbehandlung, wenn die Wartezeiten in ihrer Praxis kurz waren (was ahnen lässt, dass es dort noch freie Kapazitäten gab).
Konkret: In den Praxen, die kein Overtreatment empfahlen, betrug die durchschnittliche Wartezeit bis zum nächsten Termin 9,8 Tage; dort, wo man eher zur Füllung riet, hätte der Testpatient im Schnitt nur 6,2 Tage warten müssen.
Hattip: @DurRobert
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Arzt sein mit Sinn – das ist Medbase.

Der ärztliche Beruf verändert sich – und mit ihm die Erwartungen. Viele Ärztinnen und Ärzte suchen heute mehr als nur eine Anstellung: Sie suchen Wirksamkeit, Gestaltungsspielraum und ein Umfeld, das ihre Werte teilt.

image

Für die Zweitmeinung zu Dr. KI? Kein Problem.

Die meisten Menschen können sich vorstellen, medizinischen Rat bei einem Chatbot zu holen. Und eine klare Mehrheit findet, dass die Ärzte KI-Unterstützung haben sollten. Dies besagt eine Erhebung in Deutschland.

image

Hoher Blutdruck? Setzt auf die Apotheker!

Eine Metastudie ging der Frage nach, welche medizinischen Fachleute die nachhaltigste Verbesserung bei Hypertonie-Patienten erreichen.

image

Verurteilt, Zulassung gestrichen – aber immer noch Arzt in Freiburg

Der Fall eines verurteilten Arztes zeigt die Lücken im System auf: Informationen zwischen den Kantonen gehen verloren – und sie gelangen nicht über die Landesgrenzen.

image

Avos - neun Gesuche in der Pipeline

Bei 18 Eingriffen gilt der Grundsatz ambulant vor stationär. Die Liste könnte Ende Jahr um 9 weitere ergänzt werden.

image

Eine Börse für Praxis-Stellvertretungen

Die Jungen Haus- und KinderärztInnen Schweiz JHaS entwickelten eine Plattform, die erstens jungen Medizinern und zweitens Niedergelassenen helfen soll.

Vom gleichen Autor

image

Spital heilt, Oper glänzt – und beide kosten

Wir vergleichen das Kispi Zürich mit dem Opernhaus Zürich. Geht das? Durchaus. Denn beide haben dieselbe Aufgabe: zu funktionieren, wo Wirtschaftlichkeit an Grenzen stösst.

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.