Globalbudgets: «Alles in allem sind die Erfahrungen positiv»

Mehr Einsparungen, weniger Transparenz: Strategieberater François Muller über die Erfahrungen mit Globalbudgets in Luxemburg.

, 9. August 2018 um 12:00
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Herr Muller, die Idee der Globalbudgets im Gesundheitswesen beunruhigt: Viele befürchten, dass es zeitweise zu Engpässen in der Versorgung kommt, auch zu viel längeren Wartezeiten kommt. Sie haben das Thema in Luxemburg untersucht. Wie sind die Erfahrungen dort?
Wir sind seit einigen Jahren mit der DRG-Einführung im Grossherzogtum Luxemburg beauftragt. Die dortige Spitalfinanzierung funktioniert über ein Globalbudget. Wir haben den Zuwachs des Globalbudgets über das letzte Jahrzehnt analysiert: Rechnet man die Teuerung heraus, so wuchsen die Ausgaben für die Spitäler um etwa 1 Prozent pro Jahr. Von Leistungskürzungen kann derweil nicht die Rede sein. Ich denke, dass ein Globalbudget sicherlich Nachteile mit sich bringt, Leistungskürzungen würde ich aber aus Erfahrung nicht dazuzählen.
Wie erklären Sie es sich, dass es nicht zu Leistungskürzungen kam?
Wie in der Schweiz steckt auch in Luxemburg noch viel Optimierungspotenzial im Gesundheitswesen. Bevor wir einem Patienten eine Leistung verweigern müssen, gibt es noch viele Möglichkeiten, die Leistung besser und effizienter anzubieten.
Das heisst: Globalbudgets führen tatsächlich dazu, dass man erst andere Sparmöglichkeiten sucht?
So kann man es auch nicht sagen. Es kommt sehr darauf an, wie die Mechanismen eines Budgets gestaltet sind. Budgets sind eben meist dazu da, um vollständig ausgegeben zu werden. Erfahrungen mit Budgets in Ländern wie Luxemburg oder Belgien zeigen, dass kaum ein Spital unter dem vorgegebenen Budget bleibt. Dies führt dazu, dass Sparmöglichkeiten teilweise bewusst nicht wahrgenommen werden, um nicht unter das vereinbarte Budget zu fallen.
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    François Muller

    François Muller ist Gründer und CEO der Beratungsgesellschaft Muller & Associés Healthcare Consulting. Er verfügt über einen Bachelor in Betriebswirtschaft der HEC Lausanne, einen Master in Strategie der Universität St. Gallen und einen MBA der Nanyang Business School Singapur. Vor der Gründung von Muller & Associés leitete er unter anderem das Schweizer Büro der Beratungsgesellschaft ICME Healthcare.

Mir ist ein Fall bekannt, in dem ein Spital ein Lean-Management-Programm gestoppt hat, weil die Gefahr bestand, dass man im Operationssaal zu effizient werden könnte; damit wäre das Risiko gestiegen, Mittel für das nächste Jahr nicht bewilligt zu bekommen. Und unter SwissDRG gibt es Fälle, wo Patienten länger im Spital ausharren mussten, damit sie nicht unter die untere Verweildauer fielen. Es ist demnach wichtig, den Leistungserbringern einen unternehmerischen Handlungsspielraum zu gewähren. Und jene Leistungserbringer zu belohnen, die gute Qualität bieten.
Sie sagen, ein Globalbudget bringe auch Nachteile mit sich. Woran denken Sie da zuerst?
Wenn Gesundheitssysteme über Budgets gesteuert werden, geht das oft zu Lasten der Transparenz. Ganz nach dem Motto: Solange du als Leistungerbringer dein Budget einhältst, schaue ich als Staat nicht genau hin. Dies haben wir zum Beispiel in Luxemburg beobachtet, wo historisch eben kaum Daten über Diagnosen und Prozeduren erfasst worden waren.

«Budgets nehmen den Spitalleitungen oft den unternehmerischen Handlungsspielraum»

Ein weiterer Leidtragender ist die Innovation: Budgets nehmen den Spitalleitungen oft den unternehmerischen Handlungsspielraum. Sie verhindern so, dass in Innovationen investiert wird. Weiter ist die Verteilung eines Budgets an unterschiedliche Leistungserbringer sehr herausfordernd. Sie erfolgt leider nicht immer leistungsbezogen.
Was sind sonst noch wichtige Einsichten Ihrer Beobachtung der DRG-Einführung in Luxemburg? Welche Lektionen ziehen Sie für die aktuelle Lage in der Schweiz?
Über die erste Frage könnte ich ein Buch schreiben. Alles in allem sind die Erfahrungen sehr positiv. Wir sind seit der ersten Machbarkeitsstudie im Jahre 2015 sehr schnell vorangekommen: 2016 wurden die regulatorischen Rahmenbedingungen verabschiedet, 2017 begann man mit der Kodierung der Diagnosen und Prozeduren, die Kodierteams wurden zusammengestellt und ausgebildet. Und vor einigen Tagen wurde das erste Mal ein Datenset von den Spitälern an die Behörden gesendet. Das alles verlief in einer beeindruckender Geschwindigkeit und grösstenteils störungsfrei.

«Erst müsste eine innovative Vision darüber entwickelt werden, wie unser Gesundheitswesen in 20 Jahren aussehen soll»

Zur Zweiten Frage: ein Aspekt der sich aus Luxemburg in die Schweiz übertragen liesse, ist, dass die Diskussionen über DRGs und Globalbudgets mehrheitlich am runden Tisch zwischen den involvierten Parteien und weniger über die Medien ausgetragen wurden. Die Regierung hatte früh erkannt, dass es für die Einführung eines DRG-Systems viel Kommunikation und stringentes Projektmanagement braucht – und hat entsprechend gehandelt.
Ich denke, dass es aber in beiden Länder nicht nur Diskussionen über die Eindämmung des Kostenanstiegs braucht. Vielmehr müsste eine gemeinsame und innovative Vision darüber entwickelt werden, wie unser Gesundheitswesen in 20 Jahren aussehen soll. Ein Globalbudget kann nur in Verbindung mit einer positiven und motivierenden Vision ein von allen Parteien getragenes Mittel sein. 
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