Diese Mikro-Schaltkreise regulieren die Angst

Die Amygdala ist nicht nur eine zentrale «Drehscheibe»: Bestimmte Nervenzellen regulieren Furchtreaktionen. Fehlfunktionen können zu Angststörungen führen.

, 21. Juli 2021 um 06:41
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Angst ist ein wichtiges Signal, das uns vor Gefahren warnt und schützt. Die Krux: Entgleist sie, kann es zu anhaltenden Angstzuständen und schweren psychischen Erkrankungen kommen. In Europa sind ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Bestehende Therapien sind oftmals unspezifisch oder nur bedingt wirkungsvoll, da das konkrete Wissen neurobiologischer Abläufe bei Angstzuständen fehlt, schreibt die Universität Bern.

«Tauziehen» zwischen Nervenzellen

Bisher bekannt ist, dass bestimmte Nervenzellen im Gehirn Furchtreaktionen regulieren, indem sie diese blockieren und wieder deblockieren können. Dabei sind verschiedene Schaltkreise von Nervenzellen involviert. Zwischen diesen findet eine Art «Tauziehen» statt, wobei je nach Kontext jeweils einer von beiden «gewinnt» und den anderen übersteuert. Ist dieses System gestört, etwa wenn Furchtreaktionen nicht mehr blockiert werden, führt dies unter anderem zu Angststörungen.
Neuere Studien haben gezeigt, dass bestimmte Gruppen von Nervenzellen in der Amygdala für diese Schaltkreise und damit die Regulierung von Angst entscheidend sind. Die Amygdala ist eine kleine mandelförmige Hirnstruktur im Zentrum des Gehirns, die Informationen über furchterregende Reize empfängt und an andere Gehirnregionen wie etwa das motorische Zentrum weiterleitet. Dadurch werden im Körper unter anderem Stresshormone freigesetzt, die Herzfrequenz verändert oder Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreaktionen ausgelöst. 

Amygdala: Wichtigere Rolle als angenommen

Nun hat eine Gruppe um die Professoren Stéphane Ciocchi von der Universität Bern und Andreas Lüthi vom Friedrich-Miescher-Institut in Basel entdeckt, dass die Amygdala in diesen Abläufen eine viel aktivere Rolle spielt als bisher angenommen: Sie ist nicht nur zentrale «Drehscheibe», sondern enthält selber Mikro-Schaltkreise, welche die Blockierung von Furchtreaktionen regulieren. 
In Tiermodellen konnte nachgewiesen werden, dass die Unterdrückung dieser neuronalen Mikro-Schaltkreise zu einem langanhaltenden ängstlichen Verhalten führt. Werden sie jedoch aktiviert, normalisiert sich das Verhalten trotz vorheriger Angst wieder. Dies zeigt, dass die identifizierten Nervenzellen sehr anpassungsfähig und essenziell für die Hemmung von Angst sind. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift «Nature Communications» publiziert.
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Stéphane Ciocchi, Professor an der Universität Bern.

«Gestörte» Blockierung führt zu Angst

Die Forschenden um Stéphane Ciocchi und Andreas Lüthi untersuchten die Aktivität von Nervenzellen der zentralen Amygdala bei Mäusen während einer Blockierung von Furchtreaktionen. Dabei konnten sie verschiedene Zelltypen identifizieren, die einen Einfluss auf das Verhalten der Tiere hatte.
Für ihre Studie setzten die Forschenden mehrere Methoden ein, unter anderem verwendeten sie auch eine Technik namens Optogenetik. Mit dieser konnten sie im Tiermodell die Aktivität einer Amygdala-Zellgruppe, die ein bestimmtes Enzym produziert, mit Lichtimpulsen präzise ausschalten. Dadurch war die Blockierung von Furchtreaktionen beeinträchtigt, worauf die Tiere übermässig ängstlich wurden.
«Wir waren überrascht, wie stark unser gezielter Eingriff in bestimmte Zelltypen der zentralen Amygdala die Furchtreaktionen der Mäuse beeinflusste», sagt Ciocchi, Assistenzprofessor am Institut für Physiologie der Universität Bern. «Das optogenetische Ausschalten dieser spezifischen Nervenzellen hob die Blockierung von Angst vollständig auf und versetzte die Mäuse in einen krankhaft ängstlichen Zustand».

Spezifischere Therapien entwickeln

Beim Menschen könnte eine Dysfunktion dieses Systems, einschliesslich einer mangelhaften Plastizität in den beschriebenen zentralen Amygdala-Zellgruppen, zur gestörten Blockierung von Angst-Erinnerungen beitragen, unter der Patientinnen und Patienten mit Angst- und Trauma-Störungen leiden.
Ein besseres Verständnis dieser Vorgänge trägt dazu bei, spezifischere Therapien für diese Störungen zu entwickeln. «Es sind jedoch weitere Studien notwendig, um zu untersuchen, ob die in einfachen Tiermodellen gewonnenen Erkenntnisse auf menschliche Angststörungen übertragen werden können», ergänzt Ciocchi. 
Die Studie wurde von der Universität Bern, dem Europäischen Forschungsrat (ERC) sowie dem Schweizerischen Nationalfonds SNF finanziell unterstützt.
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