Der Text birgt alles in sich: Er ist eine vergnügliche Lektüre, er gibt zu reden und zu denken, er ist brisant, und er wurde von einem einflussreichen Autor verfasst: Harland M. Krumholz veröffentlichte in einem Journal des US-Kardiologenverbandes AHA einen Essai mit dem Titel «The End of Journals».
Darin prognostiziert er, dass die klassische medizinische Fachzeitschrift, so wie sie seit hunderten Jahren genutzt und auch verehrt wird, keine Zukunft mehr hat. Aus mehreren Gründen sei das ganze Modell völlig überholt – und dabei spielt Krumholz keineswegs nur darauf an, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse immer noch stark auf Papier veröffentlicht werden.
Dazu muss man wissen:
Harland M. Krumholz, Professor für Kardiologie an der Yale-University, sitzt selber in den Redaktions- und Herausgeber-
Boards von einem Dutzend solcher Publikationen, darunter dem
BMJ, den «Archives of Medical Science» oder dem «American Journal of Managed Care».
Die Kritik des Yale-Professors ist, wie gesagt, vielschichtig. Insgesamt sichtet Krumholz neun fundamentale Fehler, die sich in der heutigen Zeit kaum mehr halten lassen dürften:
Zu langsam: Der ganze Publikationsprozess ist nicht mehr zeitgerecht. Zwischen Einreichung und Veröffentlichung liegt oftmals ein halbes Jahr.
Zu teuer: Die renommierten «Journals» verlangen von den Autoren zu hohe Druckbeiträge. Die Gelder fehlten dann andernorts – etwa in der eigentlichen Forschungsarbeit.
Zu eingeschränkt: Die räumlichen, formalen und grafischen Beschränkungen, welche die Papierpublikationen den Autoren auferlegen, widersprechen oftmals einer optimalen Vermittlung des Stoffes.
Zu undurchsichtig: Der Prozess der Beurteilung und der peer reviews ist oft unklar, er untersteht auch selber keiner Kontrolle und erfährt kaum je Verbesserungsbestrebungen.
Falsche Massstäbe: Die «Journals» selber sind zu sehr fokussiert auf Prestigekriterien. Denn die Qualität eines Beitrags hängt für Krumholz auch von anderen Faktoren ab – nicht nur von der Zitierungs-Häufigkeit.
Zu mächtig: Die einzelnen Fach-Zeitschriften sind in ihrem Bereich oft zu mächtig; sie können über Karrieren entscheiden. Dies im Gegensatz zur allgemeinen Presse, wo sich viele einzelne Medien konkurrenzieren. Auch im Fachbetrieb müsste diese Entwicklung noch einsetzen.
Zu provinziell: Die Redaktionen und Herausgeber-Gremien der medizinischen Fachzeitschriften bestehen weitgehend aus Menschen derselben Herkunft und Vergangenheit. Eine Folge: Obwohl die Wissenschaft global funktioniert, spiegeln sich in diesen Blättern zum Beispiel regionale Bevorzugungen.
Zu statisch: Ein Zeitschriftenartikel funktioniert immer noch nach dem Prinzip, dass etwas veröffentlicht wird – und dann unverändert stehenbleibt. Neue Strategien zum Einbezug des Knowhow der Leser werden nötig.
Zu abhängig von einem fehlerhaften Geschäftsmodell: Die Idee der Fachzeitschriften ähnelt für den Kardiologen Krumholz einem Restaurant, bei dem die Gäste gleich selber kochen und am Ende noch bezahlen. Die Abstützung auf Gratis-Beiträge lasse sich kaum halten – wahrscheinlicher sei eine Abstützung durch Beiträge der Industrie.