Ärzte sind bei Todesbescheinigung oft unter Druck

Besonders in Altersheimen stossen Ärzte oft auf Widerstand, wenn sie einen unnatürlichen Todesfall bescheinigen. Ein Rechtsmediziner verteidigt jedoch das Vorgehen der Ärzte und kritisiert die Heime.

, 8. Oktober 2019 um 04:05
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«Das Ganze war absolut entwürdigend»: So heftig kritisierten die Angehörigen einer 95-jährigen Verstorbenen in einem Artikel in der «Berner Zeitung» die Arbeit des Arztes, der den Tod der Frau bescheinigte.
Er hatte auf dem Formular angekreuzt, dass es sich um einen «nicht natürlichen Todesfall» handle. Die Folge: Polizisten und Spezialisten der Rechtsmedizin begutachteten die Leiche und überprüften die Todesursache.

Todesursache: Beinbruch nach einem Sturz

Die Frau starb an den Folgen einer schlecht verheilten Wunde nachdem sie sich bei einem Sturz das Bein gebrochen hatte. Die Angehörigen, die Heimleitung und die Hausärztin hatten laut Zeitungsbericht beschlossen, die Frau nicht mit einer weiteren Operation zu quälen, sondern sie sterben zu lassen.
In einem solchen Fall bleibe dem herbeigerufenen Arzt gar nichts anderes übrig, als eine unnatürliche Todesursache zu bescheinigen, erklärte Christian Jackowski, der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Uni Bern in der «Berner Zeitung». Denn die alte Frau starb einen Monat nach ihrem Sturz an dessen Folgen.

Abläufe fernab von den gesetzlichen Grundlagen?

Also war es ein Unfalltod. Und Todesfälle, die nach einem Unfall, einer Straftat oder einem Suizid eintreffen, gelten als unnatürlich und müssen von der Polizei untersucht werden – auch wenn die Angehörigen und das Heimpersonal dieses Vorgehen unnötig oder entwürdigend findet.
Christian Jackowski weiss von vielen Ärztinnen und Ärzten, dass ihnen das Bescheinigen von Todesfällen in Heimen oft erschwert werde. Er geht sogar so weit zu sagen, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten «Abläufe fernab von den gesetzlichen Grundlagen eingespielt hätten.»

Ärzte können Verstorbene nicht korrekt untersuchen

Das heisst: Leblos gefundene Heimbewohner würden häufig sofort gewaschen und aufgebahrt, der Hausarzt werde erst später benachrichtigt, so dass dieser den Tod gar nicht mehr rechtlich korrekt bestätigen könne. Oft werde den Ärzten auch die vorgeschriebene Untersuchung, also die Leichenschau, verunmöglicht.
Christian Jackowski und seine Kollegen stellen denn auch immer wieder Fälle fest, bei denen Ärzte nachgeben und nicht natürliche Todesfälle als natürlich bescheinigen. Erschreckend dabei: Sogar offensichtliche Verletzungen wie Schusswunden, Einstiche oder Blutergüsse würden übersehen. Der Grund seien oft die schwierigen Bedingungen, unter denen ärztliche Leichenschauen durchgeführt werden, weil sich die Angehörigen meistens in höchst emotionalen Situationen befinden.

Senioren sind oft Opfer von unentdeckten Tötungsdelikten

Die Berner Rechtsmedizin begutachtet auch Leichen, denen ein natürliches Ableben bescheinigt wurde, genauer. Sie wollen damit nicht die Würde der Toten beeinträchtigen, wie das Angehörige und Pflegepersonal oft unterstellen.
Jackowski ist vielmehr überzeugt: Senioren würden einen grossen Teil der Opfer von unentdeckten Tötungen ausmachen. Behandlungsfehler, Vergiftungen, Ersticken, absichtlich herbeigeführte Stürze – all das bleibe häufig unentdeckt.
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