Chirurgin oder Mutter? Wenn Karriere und Kinderwunsch kollidieren

Lange Arbeitszeiten, starrer Ausbildungsweg, kaum Spielraum für Teilzeit: Junge Chirurginnen verschieben oft ihre Mutterschaft. Das hat Konsequenzen – auch fürs Fachgebiet.

, 9. Oktober 2025 um 03:00
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Symbolbild: Derick McKinney / Unsplash.
Die Ausbildung in der Chirurgie gleicht einem Marathon. In der Schweiz folgen auf das sechsjährige Medizinstudium mindestens ebenso viele Jahre der Spezialisierung – oft bis ins späte dritte Lebensjahrzehnt. Erst dann hebt die Karriere ab. Für Frauen hat dieser unerbittliche Zeitplan jedoch eine direkte Folge: Das Alter, in dem sie Mutter werden, steigt – manchmal zu stark.
Eine Studie, jüngst veröffentlicht im «British Journal of Surgery» und erarbeitet von einem Team des Zürcher Stadtspitals, beleuchtet dieses Spannungsfeld zwischen Fortpflanzung, Elternschaft und chirurgischer Karriere in der Schweiz. Mehr als 300 FMH-Fachärztinnen und -ärzte beantworteten dafür einen anonymen Fragebogen.
Ein Fazit: Die Anforderungen des Berufes, der dichte Tagesablauf und die unterschiedlichen Arbeitszeiten wirken sich stark auf die persönlichen Entscheidungen aus – insbesondere bei Frauen.
  • Joana Ferreirinha, Markus Weber, Nicolas Attigah, Seraina Faes, «Compatibility of procreation, pregnancy, and early parenthood in female and male surgeons during surgical training in Switzerland: national survey study», in: «British Journal of Surgery», Februar 2025.
  • DOI: 10.1093/bjs/znae314
Fast drei Viertel der befragten Chirurginnen hatten eine Schwangerschaft aufgrund ihrer Ausbildung hinausgezögert. Die Ärztinnen gründen später eine Familie als ihre männlichen Kollegen oder deren Ehefrauen. Diese Verzögerung schlägt sich nieder in höheren Unfruchtbarkeitsraten (23 Prozent gegenüber 10 Prozent bei den Männern) sowie einem verstärkten Einsatz von medizinisch unterstützter Fortpflanzung.

Teilzeitarbeit: ein falsches Privileg?

Frauen arbeiten häufiger Teilzeit (37,6 gegenüber 18,5 Prozent), und sie arbeiten auch länger in Teilzeit. Am Ende erhalten die Chirurginnen ihren FMH-Titel in einer vergleichbaren Zeit wie die männlichen Kollegen. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer hätte ihre Tätigkeit gerne reduziert, ohne dies mit ihren Vorgesetzten abgesprochen zu haben.
Abgesehen von geschlechtsspezifischen Fragen scheint die Berufskultur eine Diskussion über die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben zu behindern.

Berufungen unterstützen

Und so gibt es ein weiteres klares Ergebnis: Zwei Drittel der Teilnehmerinnen sind der Meinung, dass ihr Geschlecht einen negativen Einfluss auf ihre Karriere hatte – während dies nur bei 6 Prozent der Männer der Fall ist.
Die Autoren der Studie kommen zu dem eindeutigen Schluss, dass die Schweizer Chirurgie es sich nicht leisten kann, Talente wegen Hindernissen im Zusammenhang mit der Elternschaft zu verlieren. Sie fordern strukturelle Reformen, um die Karrierewege flexibler zu gestalten, ein weniger mutterfeindliches Umfeld zu schaffen und echte Chancengleichheit zu gewährleisten.
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