3D-Druck im Körper: Bald Realität in der Chirurgie?

Am Universitätsspital Basel gehören 3D-gedruckte Implantate zum Klinikalltag. Florian M. Thieringer erklärt, wie KI und Bioprinting die Chirurgie verändern – bis hin zum Drucken direkt im Körper.

, 7. August 2025 um 11:00
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Bild: zvg
Herr Thieringer, lebendes Gewebe aus dem 3D-Drucker – das klingt nach Science-Fiction. Wie viel Realität steckt heute schon im Bioprinting?
Mehr als man denkt. Das Bioprinting hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht, besonders bei der Herstellung zellhaltiger Strukturen wie Haut, Knochen oder Knorpel. An den Departmenten Biomedical Engineering und Biomedicine arbeiten wir intensiv an neuen «Biotinten» und hybriden Drucktechniken. Meine Forschungsgruppe fokussiert sich auf 3D-gedruckte Trägermaterialien, zum Beispiel für Knorpel- und Knochenersatz.
Der 3D-Druck ist heute bereits fester Bestandteil im Klinikalltag – wie genau wird er dort eingesetzt?
Wir nutzen 3D-Druck für anatomische Modelle, OP-Schablonen und vor allem für patientenspezifische Implantate. Ein Highlight war 2023, als wir das erste individuelle Schädeldachimplantat direkt am Point-of-Care, also im Spital, designt, 3D-gedruckt und erfolgreich implantiert haben. Es war europaweit einzigartig. 2025 folgte das erste patientenspezifische PEEK-Gesichtsimplantat, das wir ebenfalls im Haus geplant und gefertigt haben.
Was macht patientenspezifische Implantate so überlegen gegenüber klassischen Verfahren?
Klassische Implantate müssen oft während der Operation angepasst werden, was viel Zeit kostet, weniger präzise ist und bei komplexer Anatomie eine grosse Herausforderung darstellen kann. Mit 3D-Planung und 3D-Druck können wir die Implantate millimetergenau an die individuelle Anatomie anpassen. Das bedeutet kürzere OP-Zeiten, weniger Komplikationen und insgesamt bessere Ergebnisse, sowohl funktionell als auch ästhetisch.
Florian M. Thieringer ist Chefarzt der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsspital Basel und Professor an der Universität Basel. Der doppelt approbierte Facharzt ist Experte für digitale und personalisierte Gesichtschirurgie, Mitgründer des 3D-Print-Labors Basel und Leiter der Forschungsgruppe Swiss MAM.
Er forscht zu 3D-Druck im Spital, KI, virtueller OP-Planung und roboterassistierter Chirurgie. Thieringer ist Co-Leiter des MIRACLE-II-Projekts, Chefredakteur von CMTR Open und Mitglied des AO-Stiftungsrats.

Welche Technologien kommen dabei zum Einsatz?
Wir kombinieren mehrere Technologien: bildbasierte Planung, KI-gestützte Segmentierung, automatisiertes Design und den Druck von Hochleistungs-Polymeren sowie künftig auch Titan. Der gesamte Prozess ist vollständig digital.
Welche Rolle spielt der 3D-Druck bei der chirurgischen Planung – über Implantate hinaus?
3D-Modelle machen komplexe Eingriffe besser planbar – und im wörtlichen Sinne «begreifbar». Besonders bei kraniofazialen Fehlbildungen, Frakturen oder Tumoren erleichtert ein physisches Modell die Vorbereitung enorm, auch in interdisziplinären Fallbesprechungen.
Wir fertigen diese Modelle direkt im klinikinternen 3D-Labor anhand von CT- oder MRI-Daten. Dadurch können wir Schnitte, Resektionen oder Osteotomien exakt planen.
Zurück zum Bioprinting: Wie realistisch ist es, in Zukunft ganze Organe zu drucken?
Der funktionale Ersatz grosser Organe wie Leber oder Niere ist derzeit noch ein langfristiges Ziel. Aber bei 'einfacheren' Geweben wie etwa Knorpel, Knochen, Gelenkstrukturen, Haut oder Schleimhaut, sehen wir realistische klinische Perspektiven. Auch für personalisierte Medikamententestung ist das spannend. Kurzfristig geht es um den Einsatz in der regenerativen Medizin und der rekonstruktiven Chirurgie – etwa bei komplexen Defekten.
Ein spektakulärer Versuch aus den USA sorgte kürzlich für Aufsehen: Ultraschall-gestütztes Drucken direkt im Körper. Welche Chancen sehen Sie darin?
Das ist ein faszinierender Ansatz. In-situ-Druckverfahren – also direkt im Körper – könnten minimalinvasive Eingriffe revolutionieren. Zum Beispiel bei tief liegenden Defekten oder schwer zugänglichem Gewebe, ohne dass eine klassische Operation nötig ist.
Arbeiten Sie in Basel auch an solchen Technologien?
Ja. Im von der Werner Siemens-Stiftung geförderten Projekt MIRACLE II entwickeln wir gemeinsam mit internationalen Partnern ein robotergestütztes, endoskopbasiertes In-situ-Bioprinting-System. Ziel ist es, nach einer Gewebeabtragung, etwa im Gesichtsschädel oder bei Knorpeldefekten am Knie und Kieferbereich, Biomaterialien direkt im Körper präzise aufzubringen.
Wir befinden uns noch in der präklinischen Phase, aber das Potenzial ist enorm, vor allem, wenn man an eine Kombination von Diagnostik, Therapie und intraoperativer 3D-Sichtkontrolle denkt.

Das Unispital Basel hat im August 2023 erstmals einem Patienten eine am 3D-Drucker hergestellte, künstliche Schädeldecke implantiert. Video: Youtube, Unispital Basel

Text: Anna Birkenmeier
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