4-Tage-Woche in der Pflege: Ernüchterndes Ergebnis

Ein deutsches Spital führte neue Arbeitszeit-Angebote ein. Nach der Anfangseuphorie kam der Alltag.

, 8. März 2024 um 05:00
image
Haushalt, Haustier und Zumba-Kurs: Pflegepersonal im Bethanien Krankenhaus Moers  |  Bild: Screenshot WDR
Viermal viel arbeiten und dann drei Tage frei: Dieses Modell wird momentan von allerlei Organisationen und Unternehmen getestet – weil die Angestellten es wünschen. Und weil man damit attraktiver wird auf dem Arbeitsmarkt.
Auch Gesundheitsbetriebe liebäugeln mit der 4-Tage-Woche. In Deutschland startete das Bethanien-Krankenhaus in Moers (zwischen Dortmund und Köln) im vergangenen Sommer solch einen Test. Erst in der Palliativ-Station, dann im ganzen Haus konnte das Pflegepersonal auf Wunsch nur an 4 statt an 5 Tagen arbeiten – dafür 10 statt 8 Stunden.
In den Ankündigungen dazu deuteten die Spitalmanager in Moers an, dass mit der neuen Flexibilität auch der Fachkräftemangel gelindert werden soll.
Das Problem: Recht schnell zeigte sich, dass die Idee besser war als die Realität. Viele testeten das Angebot und liessen es dann doch wieder bleiben. Bald meldeten die Beteiligten mehr Erschöpfung und Schwierigkeiten im Privatleben. Die Pilot- und Palliativstation ging bereits nach sechs Wochen zu den alten Dienstzeiten zurück – auf Wunsch des Teams, wie der stellvertretende Pflegedirektor Andre Filipiak Ende August im Fachorgan «Bibliomed Pflege» verriet.

Benzin sparen

Doch das allgemeine Angebot im ganzen Haus blieb bestehen: Wer ein «10-Stünder» sein will, der kann es sein.
Nach einem halben Jahr, Mitte Dezember, beschrieb die «Neue Ruhr Zeitung» die Lage erneut. Auch damals hatte der Beitrag einen positiven Unterton. «Der Freizeit-Effekt ist für viele ein Trigger», bekundete beispielsweise Angelika Linkner, die Pflegedirektorin des Spitals. Die Mitarbeitenden müssten zwar länger arbeiten, dafür weniger oft anfahren, und dies sei vor allem für Angestellte mit einem längeren Arbeitsweg von Vorteil. «Natürlich sind auch die geringeren Fahrkosten ein Benefit bei diesem Angebot», so Lindner damals in der NRZ.
Nun, neun Monate nach dem Start, ging ein TV-Team des WDR der 4-Tage-Woche in Moers erneut nach. Und es stiess definitiv auf viel Ernüchterung: «Am Anfang war die Stimmung euphorisch, doch nach einem Dreivierteljahr machen noch drei bis vier Prozent der Vollzeit-Pflegekräfte mit», so der Text.
  • Zum Thema: Überraschender Erfolg mit der 4-Tage-Woche. Das weltgrösste Experiment mit diesem Modell brachte ein klares Ergebnis – fast alle Unternehmen blieben dabei.
Woran liegt's? Offenbar steckt der Teufel auch hier im Detail. So schilderte eine Pflegefachfrau, dass der Haushalt nach diesen langen Arbeitstagen komplett liegen bleibt, mit der Folge, dass sie an den freien Tagen das erledigen muss, was sie zuvor ausserhalb der Acht-Stunden-Schicht getan hätte.
Pflegedirektorin Angelika Linkner nannte diverse Felder, die vom neuen Modell in Mitleidenschaft gezogen werden – der abendliche Zumba-Kurs, das allein gelassene Haustier, vernachlässige pflegebedürftige Angehörige.
Auch die erhofften zusätzlichen Bewerbungen blieben aus.
Dennoch: Das Spital bleibt bei seinem Angebot und lässt den Pflegeprofis die Wahl. Denn immerhin: Das Nebeneinander von 10-Stunden- und 8-Stunden-Beschäftigten habe sich gut eingespielt. Wenn sich die Schichten überlappen, ergänzt sich das eher, als dass es sich stört, so ein Pfleger im TV-Report:

  • pflege
  • arbeitszeiten
  • HR
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Timing und Treffgenauigkeit: Die Kunst der Informationsvermittlung

In einer Zeit, in der die Effizienz und Qualität im Gesundheitswesen mehr denn je von entscheidender Bedeutung sind, kommt der reibungslosen Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren eine zentrale Rolle zu.

image

4-Tage-Woche? Kaum Interesse bei Schweizer Spitälern

Das zeigt eine Umfrage von Medinside. Gefragt seien flexible Arbeitszeitmodelle. Von einem unsäglichen Reduktionstrend spricht der Chirurg Othmar Schöb.

image

Pflegeinitiative: Ausbildungsbeiträge ja – aber…

In St. Gallen sollen die Pflegefachleute unter Umständen ihre Unterstützungsgelder wieder zurückzahlen. Und in der Zentralschweiz prüfen die Kantone eine Ausbildungspflicht für Notfall- und Intensivpflege.

image

Gerhard Pfister will es wissen: Arbeiten Ärzte 24 Stunden pro Tag?

In seinem Einsatz für die «Kostenbremse» nimmt sich der Mitte-Präsident die Minutage vor. Zumindest rhetorisch.

image

4-Tage-Woche: Das verraten die ersten Pilotversuche

Erstaunlich: In den Spitälern kommt das Arbeitszeit-Modell teils sehr gut an – und teils nicht so gut.

image

Pflegepersonal: Protest gegen Rekrutierung aus armen Ländern

Mehrere Organisationen lancieren einen Aufruf: Die Schweiz verletze immer noch den WHO-Kodex für die Anwerbung von Gesundheitsfachleuten, so die Kritik.

Vom gleichen Autor

image

FDA bewilligt weiteres Alzheimer-Medikament

Kisunla brachte bei Patienten im Frühstadium offenbar signifikante Verbesserungen. In den USA wird die Behandlung rund 30'000 Franken pro Jahr kosten.

image

Psychiatrie-Zentrum Engadin / Südbünden zieht ins Spital Samedan

Die heutigen PDGR-Standorte in Samedan und St. Moritz werden aufgelöst.

image

Gesucht: 14'700 Profis für das Gesundheitswesen

In der Schweiz waren in den letzten Monaten etwas weniger Stellen offen als zu Jahresbeginn – sogar im Gesundheitsbereich. Ausnahme: die Ärzte.