4-Tage-Woche in der Pflege: Ernüchterndes Ergebnis

Ein deutsches Spital führte neue Arbeitszeit-Angebote ein. Nach der Anfangseuphorie kam der Alltag.

, 8. März 2024 um 05:00
letzte Aktualisierung: 24. Dezember 2024 um 09:30
image
Haushalt, Haustier und Zumba-Kurs: Pflegepersonal im Bethanien Krankenhaus Moers  |  Bild: Screenshot WDR
Viermal viel arbeiten und dann drei Tage frei: Dieses Modell wird momentan von allerlei Organisationen und Unternehmen getestet – weil die Angestellten es wünschen. Und weil man damit attraktiver wird auf dem Arbeitsmarkt.
Auch Gesundheitsbetriebe liebäugeln mit der 4-Tage-Woche. In Deutschland startete das Bethanien-Krankenhaus in Moers (zwischen Dortmund und Köln) im Sommer 2023 solch einen Test. Erst in der Palliativ-Station, dann im ganzen Haus konnte das Pflegepersonal auf Wunsch nur an 4 statt an 5 Tagen arbeiten – dafür 10 statt 8 Stunden.
In den Ankündigungen dazu deuteten die Spitalmanager in Moers an, dass mit der neuen Flexibilität auch der Fachkräftemangel gelindert werden soll.
Das Problem: Recht schnell zeigte sich, dass die Idee besser war als die Realität. Viele testeten das Angebot und liessen es dann doch wieder bleiben. Bald meldeten die Beteiligten mehr Erschöpfung und Schwierigkeiten im Privatleben. Die Pilot- und Palliativstation ging bereits nach sechs Wochen zu den alten Dienstzeiten zurück – auf Wunsch des Teams, wie der stellvertretende Pflegedirektor Andre Filipiak Ende August 2023 im Fachorgan «Bibliomed Pflege» verriet.

Benzin sparen

Doch das allgemeine Angebot im ganzen Haus blieb bestehen: Wer ein «10-Stünder» sein will, der kann es sein.
Nach einem halben Jahr, Mitte Dezember, beschrieb die «Neue Ruhr Zeitung» die Lage erneut. Auch damals hatte der Beitrag einen positiven Unterton. «Der Freizeit-Effekt ist für viele ein Trigger», bekundete beispielsweise Angelika Linkner, die Pflegedirektorin des Spitals. Die Mitarbeitenden müssten zwar länger arbeiten, dafür weniger oft anfahren, und dies sei vor allem für Angestellte mit einem längeren Arbeitsweg von Vorteil. «Natürlich sind auch die geringeren Fahrkosten ein Benefit bei diesem Angebot», so Lindner damals in der NRZ.
Doch dann, neun Monate nach dem Start, ging ein TV-Team des WDR der 4-Tage-Woche in Moers erneut nach. Und es stiess definitiv auf viel Ernüchterung: «Am Anfang war die Stimmung euphorisch, doch nach einem Dreivierteljahr machen noch drei bis vier Prozent der Vollzeit-Pflegekräfte mit», so der Text.
  • Zum Thema: Überraschender Erfolg mit der 4-Tage-Woche. Das weltgrösste Experiment mit diesem Modell brachte ein klares Ergebnis – fast alle Unternehmen blieben dabei.
Woran lag's? Offenbar steckt der Teufel auch hier im Detail. So schilderte eine Pflegefachfrau, dass der Haushalt nach diesen langen Arbeitstagen komplett liegen bleibt, mit der Folge, dass sie an den freien Tagen das erledigen muss, was sie zuvor ausserhalb der Acht-Stunden-Schicht getan hätte.
Pflegedirektorin Angelika Linkner nannte diverse Felder, die vom neuen Modell in Mitleidenschaft gezogen werden – der abendliche Zumba-Kurs, das allein gelassene Haustier, vernachlässige pflegebedürftige Angehörige.
Auch die erhofften zusätzlichen Bewerbungen blieben aus.
Dennoch: Das Spital bleibt bei seinem Angebot und lässt den Pflegeprofis die Wahl. Denn immerhin: Das Nebeneinander von 10-Stunden- und 8-Stunden-Beschäftigten habe sich gut eingespielt. Wenn sich die Schichten überlappen, ergänzt sich das eher, als dass es sich stört, so ein Pfleger im TV-Report:

  • pflege
  • arbeitszeiten
  • HR
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Sektionen des Pflegefach-Berufsverbands lösen sich auf

Mit etwas Wehmut nehmen die bisherigen regionalen Sektionen des Berufsverbands Abschied. Ab nächstem Jahr gibt es nur noch eine gesamtschweizerische Organisation.

image

Pflege: Sparen beschäftigt mehr als Rekrutieren

Die Hauptsorge der Pflegeleitungen in der Schweiz ist nicht mehr der Personalmangel. Das «CNO-Barometer 2025» deutet an, dass die Chief Nurse Officers den Blick neu ausrichten.

image

Ein Blutstropfen Hoffnung bei Alzheimer

Neue Bluttests könnten die Alzheimer-Diagnostik revolutionieren – früher, einfacher, präziser. Sie eröffnen Chancen, das Gesundheitssystem zu entlasten und geben Patient:innen und Ärzt:innen neue Hoffnung.

image

BFS: Zahl privater Spitex-Anbieter erreicht Rekordwert

Die Zahl privater Spitex-Anbieter erreichte 2024 einen neuen Höchststand: 844 gewinnorientierte Unternehmen leisten immer mehr Pflegestunden, während gemeinnützige Organisationen Marktanteile verlieren.

image

Ein Berater-Team mit zwei bekannten Spital-Direktoren

Die ehemaligen Spital-CEOs Rolf Gilgen und Jürg Nyfeler bündeln ihre Erfahrung in einer Kooperation mit Verus Advisory.

image

Pflegeinitiative: Politik bremst bei der Umsetzung – erst Kosten, dann Gesetz

Die Beratungen über das neue Pflegegesetz gehen in eine neue Runde: Die zuständige Nationalrats-Kommission will genauer wissen, was das kostet. — «Unfassbar!», kommentiert dies der Personalverband SBK.

Vom gleichen Autor

image

Telemed statt Praxis: Sanacare und Medgate arbeiten enger zusammen

Bei Termin-Engpässen greifen die Sanacare-Gruppenpraxen bald landesweit auf Medgate zurück: Die Sanacare-MPAs leiten gewisse Patienten direkt an die Telemediziner weiter.

image

Studie: Smartwatches machen Ärzte widerstandsfähiger

Wenn Mediziner im Spital ihre Gesundheitsdaten mit Wearables im Blick behalten, sinkt das Burnout-Risiko deutlich – und ihre Resilienz steigt messbar.

image

Neuer Präsident für ChiroSuisse

Mit dem Walliser Alexandre Emery gelangt erstmals ein Romand an die Spitze des Berufsverbands der Chiropraktik.