Deutsche Hausärzte haben zu viel Cannabis verordnet

In Deutschland wollen die Krankenkassen den boomenden Cannabis-Verschreibungen einen Riegel schieben. Hausärzte sollen gebremst werden.

, 21. Dezember 2022 um 07:23
image
So sieht ein Cannabis-Rezept in Deutschland aus. | zvg
Die Hausärzte in Deutschland befürchten, dass ihnen das Verschreiben von Cannabis bald verboten werden könnte. Seit fünf Jahren dürfen sie ihren Patienten Cannabis verordnen. Doch nun wollen die Krankenversicherer erreichen, dass nur noch Hausärzte mit Spezialisierung auf Schmerztherapie oder Palliativmedizin den Stoff verordnen dürfen.

Anästhesisten und Onkologen dürfen weiterhin

Erlaubt wäre die Verschreibung dann hauptsächlich noch Fachärzten mit speziellen Qualifikationen: Zum Beispiel dürften Anästhesiologen oder Neurologen Cannabis ihren Schmerzpatienten oder Internisten, Hämatologen und Onkologen ihren Krebspatienten weiterhin Cannabis-Rezepte ausstellen. Die geplanten Einschränkungen würden darauf hinauslaufen, die Hausärzte aus der Verordnung der Droge hinauszudrängen, schreibt das deutsche Gesundheitsportal «Medscape».
Die Hausärzte sind aufgebracht und bezeichnen das Vorhaben als «völligen Quatsch». Warum dürften Hausärztinnen und Hausärzte zwar Morphium verschreiben, das ein wesentlich stärker wirkendes Medikament gegen Schmerzen sei, während die Verordnung von Cannabis den Hausärzten entzogen werden solle, fragt sich Hans Michael Mühlenfeld, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Bremen.

Hausärzte verschrieben zu freigiebig

Barbara Römer, die Vorsitzende des Hausärzteverbandes Rheinland-Pfalz, kritisiert laut «Medscape», dass sie künftig ihren Tumorpatienten nicht mehr alle Schmerzmittel verschreiben dürfe. Zudem gebe es gar nicht genug Neurologen oder Schmerzmediziner, zu denen die Patienten für ihre Cannabis-Verordnungen gehen könnten.
Doch warum gibt es überhaupt Pläne, den Hausärzten die Cannabis-Rezepte zu entziehen? Weil sie offenbar zu freigiebig verschrieben haben. Seit 2017 darf Cannabis in Deutschland als Medikament verschrieben werden, und seither taten dies Ärzte mehr als 90’000 Mal. Das kommt die Krankenkassen teuer zu stehen. Die Kosten einer Therapie mit Cannabisblüten oder cannabishaltigen Fertigarzneimitteln betragen monatlich zwischen 300 und 2’200 Franken. Eine Therapie mit herkömmlichen Opiaten wäre deutlich günstiger.

Rezepte nicht gemeldet

Dazu kommt, dass sich die Hausärzte offenbar nicht an ihre Pflichten gehalten haben. Alle Ärztinnen und Ärzte, die Cannabis verordnen, hätten ihre Rezeptdaten dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – es entspricht Swissmedic in der Schweiz – für eine Begleiterhebung übermitteln sollen. Dem Bundesinstitut fiel allerdings auf, dass es nach fünf Jahren nur rund 16’800 Meldungen erhalten hatte – was einem Bruchteil der 90'000 tatsächlichen Verschreibungen entspricht.
Jene Daten, die dem Bundesinstitut gemeldet worden sind, zeigen, dass vermutlich wirklich die Hausärzte ihre Verschreibungen nicht dokumentiert haben. Am häufigsten meldeten nämlich Anästhesiologen ihre Rezepte, erst danach folgen die Hausärzten und den Neurologen. Die Hausärzte begründen dies damit, dass ihnen die Zeit für die Meldung der Cannabis-Verordnungen gefehlt habe.

Gute Wirkung

Die Wirkung der Cannabis-Präparate ist - zumindest bei den wenigen gemeldeten Fällen - offenbar gut: In fast 75 Prozent der Fälle gingen die Symptome zurück. Die Lebensqualität besserte sich in 70 Prozent der Fälle. In 38,5 Prozent der Fälle dagegen trat keine Besserung ein. In 26 Prozent der Fälle wurde die Therapie wegen Nebenwirkungen abgebrochen. In gut 20 Prozent der Fälle war der Tod der Patienten der Grund für den Abbruch.
Am häufigsten (76,4 Prozent) wurde Cannabis gegen Schmerzen verordnet, gegen Spastiken in 9,6 Prozent oder gegen Anorexie in 5,1 Prozent der Fälle. Dabei war Cannabis für viele Ärzte und Patienten das letzte Mittel.
  • ärzte
  • cannabis
  • deutschland
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Ärzte in der Krise: Immer mehr suchen Unterstützung

Zu viel Arbeit, Burn-Out, Angst, Selbstzweifel und Depression: Das sind die fünf Hauptgründe für Ärzte und Ärztinnen, sich Hilfe bei der Remed-Hotline zu holen.

image

Die Schweizer Digital-Health-Branche trifft sich auf der DMEA in Berlin 

Bald ist es wieder soweit: Auf dem Berliner Messegelände vereinigt die DMEA die Digital-Health-Expertinnen und -experten von Europa. Rund 700 Aussteller und 300 Speaker präsentieren Lösungen und Produkte.

image

Berner Zeitungen verletzten Privatsphäre einer Ärztin

Ein Artikel in den Berner Medien enthielt zu viele Details über eine verurteilte Ärztin. Der Pressrat gab deshalb den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD) recht.

image

EPD: Verschnaufpause für Ärztinnen und Ärzte

Die Anschlusspflicht für Ärztinnen und Ärzte ans EPD soll erst mit der grossen Revision eingeführt werden.

image

Deutschland: «Den Uniklinik-Ärzten reisst der Geduldsfaden»

Die Tarifverhandlungen sind gescheitert: Deshalb wird erneut zum Streik aufgerufen.

image

USA: Milliardärin befreit Medizinstudenten von Studiengebühren

Am Albert Einstein College of Medicine in New York lernen die Medizinstudenten ab sofort gratis. Dank einer Milliardenspende.

Vom gleichen Autor

image

SVAR: Neu kann der Rettungsdienst innert zwei Minuten ausrücken

Vom neuen Standort in Hundwil ist das Appenzeller Rettungsteam fünf Prozent schneller vor Ort als früher von Herisau.

image

Kantonsspital Glarus ermuntert Patienten zu 900 Schritten

Von der Physiotherapie «verschrieben»: In Glarus sollen Patienten mindestens 500 Meter pro Tag zurücklegen.

image

Notfall des See-Spitals war stark ausgelastet

Die Schliessung des Spitals in Kilchberg zeigt Wirkung: Nun hat das Spital in Horgen mehr Patienten, macht aber doch ein Defizit.