«Nur ein Drittel der Spitäler ist schweizweit am EPD angeschlossen»

Das elektronische Patientendossier sei noch gar nicht so wichtig, findet Richard Patt, Geschäftsführer der Stammgemeinschaft eSanita. Warum, und was relevanter ist, erklärt der Bündner im Interview mit «Inside IT».

, 17. September 2022 um 06:00
image
Richard Patt, Geschäftsführer eSanita.
In welcher Liga spielt das elektronische Patientendossier (EPD) nun? Richard Patt, Geschäftsführer der Stammgemeinschaft eSanita, sagt Super League; «Inside IT» kontert im Interview mit «allerhöchstens Challenge League». Das sei aber alles gar nicht so wichtig, findet Patt und betont, dass die Anbindung aller Leistungserbringer – sprich Spitäler, Heime und Hausärzte – ohnehin viel wichtiger sei. Er erklärt warum und sagt auch, wieso es sinnvoll ist, dass es mehrere Stammgemeinschaften gibt.
Wie beurteilen Sie aktuell den Gesamtzustand des elektronischen Patientendossiers?
Es ist zwischen der Sicht der Patienten und jener der Leistungserbringer, also Spitäler, Heime oder Ärztinnen zu unterscheiden. Damit das elektronische Patientendossier (EPD) flächendeckend funktioniert, müssen zuerst alle Leistungserbringer angeschlossen sein.
Bei wie vielen ist das heute der Fall?
Bei unserer Stammgemeinschaft sind es 100 Prozent der Spitäler und 85 Prozent der Alters- und Pflegeheime, und dies ohne finanzielle Unterstützung der Kantone. Und für den gesamten ambulanten Bereich ist das Mitmachen aktuell ja noch freiwillig. Hinzu kommt, dass der gesamtschweizerische Schnitt deutlich unter unseren Zahlen liegt.
Konkret?
33 Prozent der Spitäler und 25 Prozent der Heime. Diese Werte müssen höher sein, und Hausärztinnen und Hausärzte müssen verpflichtet werden, mitzumachen. Sonst wird das EPD nicht funktionieren.
Aber diese sind doch seit zwei Jahren verpflichtet, sich ans EPD anzuschliessen?
In einigen Stammgemeinschaften ist die Anschlussquote hoch, in anderen weniger.
Sie meinen Axsana.
Dort ist die Quote sicherlich tiefer. Andererseits gibt es durch die Beteiligung der Kantone die informelle Erwartung, dass sich die Leistungserbringer aus diesen Kantonen bei dieser Stammgemeinschaft anschliessen müssen. Damit muss man aufhören, nur so können wir diese Anschlussquote gemeinsam rasch erhöhen.
Aber warum sind Ihre Werte so viel höher?
Für uns ist das EPD ein Zusatzservice für Patientinnen und Patienten. Im Fokus stehen die Leistungserbringer, die wir mit unserer offenen B2B-Plattform untereinander vernetzen. Das bedeutet, dass wir allen angeschlossenen Spitälern, Heimen und weiteren Teilnehmern den digitalen Dokumenten- und Datenaustausch ermöglichen, der gleichzeitig auch als Zubringer fürs EPD dient.
Das heisst aber, dass nur die Leistungserbringer Ihrer Stammgemeinschaft untereinander Dokumente austauschen können, alle anderen aber weiterhin Briefe verschicken. Eine landesweite Lösung ist das nicht.
Doch. Erstens können grundsätzlich alle Spitäler, Heime und auch ambulante Praxen Mitglied bei uns werden. Zweitens können beliebige Empfänger, wie zum Beispiel das Unispital Zürich, Dokumente und Daten via unsere Plattform empfangen.
Empfangen bedeutet?
Wer Mitglied ist, kann sein Krankenhausinformationssystem (KIS) über sichere Schnittstellen an unsere Plattform anschliessen und darüber Dokumente und strukturierte Daten empfangen und auch senden. Wer das nicht ist, erhält mindestens eine sichere und verschlüsselte E-Mail. Sicher ist, es soll nicht mehr gefaxt werden und es sollen keine Briefe mehr verschickt werden.
Gesundheitsdaten hin- und hermailen… Da läuten gleich die Alarmglocken.
Letztlich bestimmen die Empfänger, wie sie die Daten erhalten möchten. Bis alle Leistungserbringer ihre Daten über Schnittstellen austauschen, wird es noch eine Weile dauern. Wir haben das System den Ostschweizer Datenschützern vorgestellt, damit wir alle Voraussetzungen punkto Sicherheit erfüllen.
Ist denn Ihr B2B-Angebot ein Grund, die Stammgemeinschaft zu wechseln?
Es haben bereits einige Spitäler und Kliniken, zum Beispiel die Psychiatrieverbunde St. Gallen, gerade wegen unserer offenen Vernetzungsplattform zu uns gewechselt, wobei sie gleichzeitig auch das EPD erhalten.
Ist die Mitgliedschaft bei Ihrer Stammgemeinschaft durch diesen Service teurer als bei anderen Stammgemeinschaften?
Nein, wir sind ungefähr gleich teuer – inklusive B2B-Anschluss an unsere Plattform.
Sie sind aber nicht der einzige Anbieter mit einem entsprechenden Angebot. Beispielsweise Cuore von der Post oder Healthlink von Axsana bieten ähnliches.
Die Post möchte zukünftig auch noch selber im B2B-Bereich tätig sein, und ich bin auch gespannt, was dies nun für Healthlink bedeutet. Demgegenüber stellen wir fest, dass unsere funktionierende offene B2B-Vernetzungsplattform auf reges Interesse bei den Leistungserbringern stösst. Ich habe meine Zweifel bezüglich gross angekündigter Initiativen.
Woher die Zweifel?
Weil wir die Systeme der Spitäler voll in die Prozesse integrieren – EPD und B2B-Plattform. Dies erfordert Know-how und grossen Aufwand, den wir gemeinsam mit unseren Mitgliedern leisten, was weder mit Cuore noch mit Healthlink per se erledigt ist. Deshalb meine Zweifel. Ich bin nur schon froh, wenn wir mit der Post ein EPD anbieten können, das von der Bevölkerung auch genutzt wird.
Wenn das EPD aber ohnehin Schiffbruch erleidet, hat man mit einer simplen Portallösung nicht viel Energie verbraucht.
Das ist richtig und es gibt auch Spitäler, die glauben, dass sich das nicht etablieren wird und sich deshalb nicht für eine Vollintegration bemühen. Dabei ist doch ein voll digitalisiertes Gesundheitswesen erst der Katalysator für das EPD.
Aber was machen Sie, wenn sich das EPD tatsächlich nicht durchsetzt?
Unsere offene B2B-Vernetzungsplattform wird weiter ausgebaut. Der Nutzen, aber auch der damit verbundene Anschlussaufwand ist Champions League, das EPD ist Super League.
Das EPD ist allerhöchstens Challenge League!
(lacht) Nun ja, es braucht halt eine schlaue E-ID-Lösung und angeschlossene stationäre und ambulante Leistungserbringer. Vorher kann das EPD nicht aufsteigen.
Was meiner Ansicht nach ebenfalls ein Stolperstein in Sachen EPD ist, ist die fehlende Möglichkeit zur rein digitalen Eröffnung. Sehen Sie da bald Licht am Ende des Tunnels? Konkretes kann ich im Moment nicht sagen. Ich warte gespannt auf die Lösung der Swisssign Group und damit der Post. Wir wären gerne bei einem Pilot dabei, aber ob das Frühling oder Sommer wird nächstes Jahr, lässt sich nicht voraussagen.
Sprechen wir noch kurz über die zahlreichen Stammgemeinschaften. Braucht es wirklich deren 7?
Wettbewerb belebt das Geschäft und ermöglicht Innovation. Wichtig ist nur, dass die Technik dahinter untereinander kompatibel ist. Ich finde nicht, dass es besser wäre oder schneller vorwärts ginge, gäbe es nur eine Stammgemeinschaft. Unsere EPD-Anschlusszahlen und die B2B-Plattform zeigen dies ja deutlich. Zu beachten ist dabei die unterschiedliche Finanzierung, teils durch die Kantone wie in der Westschweiz, teils privat wie bei uns.
Aktuell gibt es noch 3 technische Plattformen. Post, Abilis und AD Suisse; Swisscom hat sich zurückgezogen. Wird es zu einer weiteren Konvergenz kommen?
Ich hoffe nicht, obwohl wir seit Anbeginn bei der Post sind. Eine Monopolsituation wird erfahrungsgemäss zu höheren Preisen bei schlechterer Leistung und weniger Innovation führen. Die Kompatibilität der 3 Plattformen ist gegeben, das ist das einzig Wichtige.

Dieses Interview ist zuerst auf «Inside IT» erschienen.

  • elektronisches patientendossier
  • esanita
  • digitalisierung
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Die Info-Kampagne zum EPD ist zum Scheitern verurteilt

«Solange Ärztinnen und Ärzte keinen Nutzen haben, können sie auch keine Patienten vom EPD überzeugen», sagt Anna Winter, die Präsidentin IG eHealth,

image

Deutschland stellt bald nur noch E-Rezepte aus

Ab 2024 müssen deutsche Ärzte Rezepte elektronisch ausstellen. Profitieren könnte davon auch eine Schweizer Versandapotheke.

image

KI: Ärzte brauchen Klarheit über die Haftung

Künstliche Intelligenz wird bereits heute in allen grösseren Schweizer Spitälern genutzt und fortlaufend ausgebaut. Das Potential ist riesig, was fehlt sind derzeit noch klare Rahmenbedingungen.

image

Bald erhält jeder automatisch ein Patientendossier

Die Zahlen zum Elektronischen Patientendossier sind kläglich, obwohl der Bund seit zwei Jahren versucht, es populär zu machen.

image

EPD-Herausgeber haben keine Angst vor Konkurrenz

Eine neue Patienten-App wird als «EPD-Konkurrent» und als private «EPD-Kopie» gehandelt. Doch E-Health Suisse hat keine Angst davor.

image

In Zukunft nur noch digitale Rezepte

Das Parlament hat entschieden, dass Rezepte für Arzneimittel in Zukunft nur noch elektronisch ausgestellt und digital verschickt werden sollen. Bis es allerdings soweit ist, müssen noch einige Hürden überwunden werden.

Vom gleichen Autor

image

EPD: «…schlimmer noch, die Probleme haben sich verschärft»

Die Finanzkontrolle des Bundes veröffentlicht einen herben Bericht zum E-Patientendossier. Sie plädiert für eine Abkehr vom heutigen Modell – hin zu einer Zentralisierung.

image

Cyber-Sicherheit: Spital STS liess sich hacken – und fand Lücken

Ethische Hacker entdeckten im Auftrag der Thuner Spital-Gruppe Sicherheitslücken, die andernorts schon für Ransomware-Angriffe ausgenutzt worden waren.

image

Und wie schliessen wir dann das EPD an unser KIS an?

Fast 400 Millionen Franken nimmt der Bund in die Hand, um das Gesundheitswesen zu digitalisieren. Zugleich nimmt er die Software-Anbieter und Spitäler in die Pflicht.