«Auch wir werden Defizite schreiben»

Die Thurmed Gruppe gilt als Paradebeispiel eines gesunden Spitalbetriebs. Zugleich warnt CEO Rolf Zehnder, dass die derzeitigen Tarife auch bei ihnen zu Defiziten führen werden.

, 18. September 2023 um 08:24
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Rolf Zehnder, CEO der Thurmed Gruppe. | zvg
Mit einer Ebitda-Marge von 11,3 Prozent ist Ihre Spitalgruppe überdurchschnittlich erfolgreich. Was machen Sie besser als andere Spitäler? Da muss ich doch gleich relativieren. Ich bin erst seit einem Jahr CEO der Thurmed Gruppe und habe einen gut laufenden Betrieb übernommen. Somit gelten die Lorbeeren nicht mir, sondern meinem Vorgänger und meinem Team.
Dann anders gefragt: Was ist das «Geheimrezept» der Thurmed Gruppe? Von Geheimrezept würde ich in diesem Zusammenhang auch nicht sprechen. Vielmehr haben wir sehr gute Rahmenbedingungen. Als einer der ersten Kantone hat der Thurgau bereits vor über 20 Jahren die Rollen zwischen Kanton und Spital klar aufgeteilt. Der Kanton unterscheidet seine eigene Rolle als (politischer) Regulator und als (wirtschaftlicher) Eigentümer sehr klar und lebt seine eigenen Vorgaben im Alltag konsequent. Als Regulator behandelt er die Thurmed-Spitäler wie alle nichtkantonalen Spitäler. Als Eigentümer gibt er die Unternehmensziele vor, wir setzen diese unternehmerisch um – unabhängig von einer aktuellen politischen Agenda des Kantons.
Welche Vorteile hat diese Eigenständigkeit? Sie gibt uns einerseits grosse Freiheiten, andererseits fördert sie das unternehmerische Denken und Handeln und wir übernehmen Verantwortung. Zugleich profitieren wir auch von unseren Tochterfirmen wie z.B. Radiologie, Immobilien oder Pharmazie – rund die Hälfte unseres Resultates erzielen wir über unsere «Töchter». Und nicht zuletzt helfen uns die fachlichen und wirtschaftlichen Synergien zwischen den beiden relativ grossen Kantonsspitälern in denen wir alle Kliniken standortübergreifend führen. Ebenso die Nähe zur Psychiatrie und zur Rehabilitation.
«Wenn ich unsere Resultate anschaue, sind wir zwar auf einer höheren Flugebene gestartet als andere, aber wir verlieren, wie alle anderen Spitäler auch, massiv an Flughöhe.»
Sie führen einen gesunden Spitalbetrieb und gelten als Paradebeispiel, wie es funktionieren kann – besser könnte es nicht laufen, oder? Schön wäre es! Wir stehen im Vergleich zwar gut da, sind jedoch von den genau gleichen Hauptströmungen betroffen wie alle Spitäler. In den letzten drei Jahren hatten wir jährlich mengenbereinigt zwei bis vier Prozent Kostensteigerungen (insbesondere Verbesserungen im Personalbereich), was kumuliert rund zehn Prozent ergibt. Dies bei blockierten Tarifen. Auch wenn wir laufend die Effizienz steigern, in diesem Ausmass ist uns dies nicht möglich. Wenn ich unsere Resultate anschaue, sind wir zwar auf einer höheren Flugebene gestartet als andere, aber wir verlieren, wie alle anderen Spitäler auch, massiv an Flughöhe.
Und drohen abzustürzen? So pessimistisch bin ich nicht. Aber wir werden in einem oder spätestens zwei Jahren Defizite schreiben müssen, wenn sich die Tarifsituation nicht anpasst. Keines unserer Spitäler ist fähig, eine derartige Produktivitätssteigerung hinzubringen, wie das derzeit notwendig wäre. Mir bereitet die Schweizer Spitallandschaft generell sorgen.
Weshalb? Auch wenn wir jeden Franken zweimal umdrehen, so haben wir doch noch Mittel, die wir investieren können. Viele Spitäler haben das nicht mehr. Ich fürchte, dass die Schweizer Spitallandschaft derart ausgehungert wird, dass wir an Qualität einbüssen, uns nicht weiter verbessern können und letztlich die Versorgung nicht mehr wie gewohnt erbracht werden kann.
Die Tarife müssen sich ändern, das ist klar. Was aber könnten die Spitäler selbst tun, um Ihre Position zu verbessern? Ich bin überzeugt, dass es generell mehr Eigenständigkeit braucht und damit verbunden gleichzeitig eine höhere Resultatverantwortung. Viele Spitäler wären zudem besser in einer Spitalgruppe aufgehoben, in der sich die Häuser – egal ob gross oder klein – gleichwertig bewegen. Beim Zusammenschluss von mehreren Spitälern besteht jedoch immer die Angst, dass der Grössere den Kleinen «fressen» könnte. Das wiederum führt zur Zurückhaltung solcher Zusammenschlüsse. Wir sind eine der wenigen Spitalgruppen in der Schweiz, in der sich mehrere Spitäler in einem Konzern gleichwertig auf Augenhöhe bewegen. Dies sollte überkantonal Modellcharakter erhalten – warum nicht eine Spitalgruppe über mehrere Kantone hinweg?
Sie waren Pflegefachmann und sind über Umwege im Management gelandet. Inwiefern helfen Ihnen Ihre Erfahrungen aus der Basis bei Ihrer heutigen Tätigkeit? Im Management ist man relativ weit weg vom eigentlichen Geschehen. Durch meine pflegerischen Erfahrungen habe ich ein Grundgefühl, wie der Betrieb funktioniert, wie die Abläufe und die Interaktion mit dem Patienten sind. Ich kenne die Rituale und kann die Argumente der Gesundheitsfachpersonen einordnen. So begegnet man sich auf einer anderen Ebene im Gespräch und bekommt oftmals auch differenziertere Informationen. Allerdings besteht manchmal auch die Gefahr, dass man gar nicht merkt, wie sehr sich vieles im Stationsalltag verändert hat.
Sie waren 2021 in die Schlagzeilen geraten, weil Sie sich gegen die Pflegeinitiative ausgesprochen hatten. Wie stehen Sie heute dazu? Leider hat sich bewahrheitet, was wir befürchtet haben. Die Umsetzung ist noch nirgends – die Erwartungen im Gegenzug umso höher. Wichtig wird sein, sämtliche Gesundheitsberufe und ihre Bedingungen sowie deren Aufgaben, Kompetenzen und vor allem deren Zusammenarbeit weiter zu entwickeln.
In wenigen Worten: wie würden Sie sich als CEO beschreiben? Ich mag meine Aufgabe und vor allem meine Mitarbeitenden und versuche mich ihnen gegenüber so zu verhalten, wie ich es auch von ihnen erwarte. Ich bin weit davon entfernt perfekt zu sein – aber ich bin engagiert und erwarte dies auch von meinen Mitarbeitenden.
Zum Schluss: Wie schaltet die Privatperson Rolf Zehnder ab? Ich habe das Privileg eine unglaublich spannende Aufgabe zu haben – ich akzeptiere dabei aber auch, dass sie vereinnahmend ist und mir neben der Arbeit nicht viel anderes möglich ist. Ich nehme aber meine Ferien und lese in den Ferien keine Mails.
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