Warum Spitäler gesetzeswidrige Verträge unterschreiben

Hplus-Direktorin Anne-Geneviève Bütikofer erklärt, weshalb Spitäler Tarifverträgen beitreten, obschon die Tarife nicht kostendeckend sind.

, 18. April 2024 um 14:43
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Anne-Geneviève Bütikofer  |  Bild: PD H+
Unter neutralen Beobachtern und Gesundheitsökonomen ist es unbestritten, dass die Spitaltarife generell zu tief sind, insbesondere bei ambulanten Leistungen. Wer ist schuld?
Laut den Spitälern sind es die Krankenkassen; laut dem Gesundheitsökonomen Heinz Locher tragen aber auch die Spitäler eine Mitschuld: «Sie sollten die Verträge nicht unterschreiben, wenn der gesetzliche Auftrag mit den ausgehandelten Tarifen nicht erfüllt werden kann», erklärt er. Dann müssten die Kantonsregierungen aktiv werden.
Und wenn der Spitalverband Tarife unterzeichnet, die ein einzelnes Spital in die Bredouille führt? Dann sollte dieses Krankenhaus dem ausgehandelten Tarifvertrag nicht beitreten, sagt Locher. Ein Spital könnte auch selber den Tarifvertrag aufsetzen und ihn den Kassen unterbreiten. Falls die Kassen den Vertrag ablehnen, sei es wiederum an der Kantonsregierung, darüber zu befinden und den Tarif festzulegen.
Wieso also kommt es kaum je vor, dass ein Spital sich so für höhere Tarife einsetzt und ein Festsetzungsverfahren durch den Kanton verlangt? Anne-Geneviève Bütikofer, die Direktorin des Spitalverbands Hplus, nennt drei Gründe:
  • Der Weg sei sehr aufwändig und der Ausgang unsicher. Legt der Kanton dann einen Tarif fest, den das Spital als adäquat empfinden würde, so könnten die Versicherer wiederum Rekurs einlegen. «Das führt zu einem langwierigen und noch aufwändigeren Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht», so Bütikofer: «Hierzu braucht es jeweils Unterstützung durch juristische Fachpersonen, welche die Spitäler extern hinzuziehen und finanzieren müssen.»
  • Ohnehin seien bislang die Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts «stark politisch geprägt», insbesondere im ambulanten Bereich: «Auch wenn klare Belege und robuste Daten die Notwendigkeit für eine Tarifanpassung nachweisen, fallen die Entscheide oftmals nicht entsprechend dem KVG aus, welches unter anderem vorsieht, dass Tarife kostendeckend sein müssen.»
  • Ein Festsetzungs- und Beschwerdeverfahren könne bis zu sechs Jahre dauern. Während dieser Zeit ist jede gestellte Rechnung provisorisch und muss nach dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts gegebenenfalls rückwirkend korrigiert werden. Es besteht somit eine sehr lange Phase der Rechtsunsicherheit.

Schwieriges Abwägen

Aus diesen Gründen sei es für Spitäler oft ein sehr schwieriges Abwägen zwischen einer Vertragsunterzeichnung trotz unbefriedigenden Tarifen oder einem Festsetzungs- und Beschwerdeverfahren, erklärt Anne-Geneviève Bütikofer.
Aber auch die Hplus-Direktorin betont: «Die aktuell geltenden Tarife decken weder im ambulanten noch im stationären Bereich die effektiven Kosten. In den letzten Jahren hat sich diese Situation massiv verschärft, da die Tarife nicht an die Inflation angepasst werden.» So bleiben die Spitäler laut Bütikofer auf den deutlichen Mehrausgaben sitzen, etwa bei den Energie-, Personal- oder Materialkosten.

Nicht sachgerecht

Wie schon Heinz Locher sagt auch Anne-Geneviève Bütikofer, dass die Spitäler laut KVG sachgerecht für ihre Leistungen finanziert werden müssten. «Dies wird schlicht nicht eingehalten», erklärt die Verbandsdirektorin.
Somit wären wir wieder bei den Kantonen. Sie müssen die Tarife überprüfen und genehmigen und haben sicherzustellen, dass die Tarife gesetzeskonform sind – was sie laut Locher und Bütikofer offensichtlich nicht sind.

«Die Tarifpartnerschaft funktioniert nicht mehr»

Beat Straubhaar war ab 1985 Direktor des Regionalspitals Thun und später bis Ende 2010 CEO des Regionalen Spitalzentrums Thun (STS). Dann war der Thuner von 2015 bis 2021 VR-Präsident des Psychiatrie Zentrums Münsingen. Ausserdem war er lange Jahre Präsident vom Berner Spitalverband, in dessen Auftrag er selber Tarifverhandlungen führen musste.
Der erfahrene ehemalige Spitaldirektor gibt Hplus-Direktorin Anne-Geneviève Bütikofer Recht, wenn sie auf die Planungssicherheit hinweist. «Dieses Risiko will kein Spital auf sich nehmen», sagt er.
Wie Straubhaar weiter erklärt, treffen sich die Verbände bei den Tarifverhandlungen beim kleinsten gemeinsamen Nenner. Für die einen Spitäler mag die Rechnung mehr oder weniger aufgehen, für andere eben nicht: «Die Spitäler haben aufgrund unterschiedlicher Leistungsportfolios unterschiedliche Kostenstrukturen».
Darauf werde bei den Verhandlungen nicht Rücksicht genommen. Man verhandle über den Preis, nicht über die Finanzierung der Kosten.
Für Straubhaar funktioniert das heutige System der Tarifpartnerschaft nicht mehr. Er vertritt deshalb die Meinung, dass nicht mehr die Verbände die Preisverhandlungen führen, sondern die einzelnen Marktteilnehmer. Er meint damit homogene Verhandlungsdelegationen, die sachlich zusammenpassen. «Dadurch könnten auch neue Finanzierungsmodelle entstehen».
Aber: Wie war es denn früher, Herr Straubhaar?
Die Antwort des Ex-Spitaldirektors, der selber Tarifverhandlungen führte: «Früher agierten auf Seite der Kassen und der Ärzte Personen, mit denen man zusammensitzen und gemeinsam Lösungen finden konnte. Das ist heute nicht mehr der Fall».

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