Warum das Paraplegiker Zentrum in Nottwil und nicht in Risch steht

Am 6. September wird das Schweizer Paraplegiker Zentrum (SPZ) 30 Jahre alt. Eine Erfolgsgeschichte. Doch der Weg dahin war steinig. Mitunter gab es sogar böse Worte.

, 31. August 2020 um 20:38
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Würde nicht ein heimtückisches Virus namens Covid-19 sein Unwesen treiben, feierten wir am kommenden Wochenende in Nottwil ein schönes Fest: 30 Jahre Schweizer Paraplegiker Zentrum. Warum aber ausgerechnet Nottwil?
Die 30 Jahren sind sicher eine Erfolgsgeschichte, sieht man vom unschönen Abgang von Guido A. Zäch, des Gründers und Vaters der gesamten Schweizer Paraplegiker Gruppe, ab. Hier seien aber die zehn Jahre zuvor beleuchtet, die nur älteren Jahrgängen noch präsent sein dürften – wenn überhaupt.

Basel wollte keine Tetraplegiker

Eigentlich müsste das SPZ in Basel stehen. Dort war es schon von 1973 bis 1989 als Teil des Bürgerspitals Basel. Doch weil der Regierungsrat die Ausbaupläne des Chefarztes Guido A. Zäch durchkreuzte, suchte letzterer nach einem neuen Standort.
Buchautorin Trudi von Fellenberg-Bitzi beschreibt es so: «Der ganze Kleinkrieg rund um das Tetraplegikerheim, das fehlende Verständnis für einen Akutbereich und damit die Umstände, dass Patienten bereits für kleine operative Eingriffe mit der Ambulanz ins Universitätsspital verlegt werden mussten, dies und vieles, sehr vieles mehr, veranlasste den Chefarzt, nach vorne zu schauen und sich zu überlegen, was, wo und wie für seine Patienten getan werden könne.» So zu lesen in der Biografie «Guido A. Zäch – ohne Wenn und Aber».

«Wir in Basel wollen normale Familien ansiedeln»

Befremdend sind die Worte, mit welchen die Basler Regierung ihre ablehnende Haltung begründet: «Ganz allgemein müssen wir in Basel Wert auf die vermehrte Wiederansiedlung so genannter normaler Familien legen. Pflegebedürftíge, alte, kranke und invalide Kantonseinwohner sind bereits in einem, den gesamtschweizerischen Durchschnitt weit übersteigenden Masse vorhanden. Ihr weiterer Zuzug ist sicher nicht zu fördern», steht im Regierungsbeschluss vom 22. Februar 1977 zu lesen. Der Regierungsrat habe deshalb beschlossen, die Erstellung eines Tetraplegikerheims im Kanton Basel-Stadt abzulehnen.
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Das SPZ im März 1990.| zvg
Guido A. Zäch fand darauf ein Terrain in Risch am Zugersee. Es war die Ernst Göhner Stiftung, die ihm ihr Land von 122'000 Quadratmetern zur Verfügung stellte. Doch es gab da ein Problem: Das Kulturland musste umgezont werden, damit das Paraplegiker-Zentrum gebaut werden konnte. Und die Bevölkerung musste dazu Ja sagen. Sie sagte aber Nein – überaus deutlich mit 1528 Nein zu 773 Ja bei einer hohen Stimmbeteiligung von 73 Prozent.
Während Jahren füllte das ambitiöse Projekt von Guido A. Zäch die Leserbriefspalten – dies nicht nur in der Zentralschweiz.
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Grosser Aufmarsch am Eröffnungsfest vor 30 Jahren. | zvg
Vor allem Landschaftsschützer kämpften gegen das Vorhaben. Den Heimat- und Landschaftsschutz-Organisationen geht es um den Erhalt der linksufrigen Zugerseelandschaft, die kürzlich ins Bundesinventar der Landschaften von nationaler Bedeutung aufgenommen wurde, schreibt die «Basler Zeitung» am 15. Oktober 1984.

Die Sanitätsdirektoren stellten sich quer

Zum Nein beigetragen hat mit Sicherheit auch die Sanitätsdirektorenkonferenz, die sich gegen das Paraplegikerzentrum in Risch ausgesprochen hatte. Sie plädierte dafür, die dafür benötigten Betten im Balgrist in Zürich zu platzieren.
Das taten auch Lokalpolitiker aus Zürich, etwa die schweizweit bekannte Stadtpolitikern Liselotte Meyer-Fröhlich. In einem längeren NZZ-Beitrag vom 28. September 1983 schrieb sie, die Bedingungen «rufen nach einem Paraplegikerzentrum in einer grösseren Stadt.» Meyer-Fröhlich verstarb vor sechs Jahren 91jährig. In einem Nachruf beschrieb sie die «NZZ am Sonntag» als eine «bürgerliche Frauenrechtlerin».

«Wir wollen keine Krüppel am Zugersee»

Und dann hörte man noch Argumente, wie man sie eigentlich nicht hören möchte. «Wir wollen unsere Gemeinde sauber, anständig und in Ordnung halten», ereiferte sich ein Einwohner an einem Informationsanlass. «Solche Leute passen nicht dazu». Doch das schlimmste kommt noch: tosender Applaus. Auch das nachzulesen in der genannten Biografie.
An der Gemeindeversammlung soll ein Einwohner sogar gesagt haben: «Wir wollen keine Krüppel am Zugersee».
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Guido A. Zäch, auf der Baustelle in Nottwil. | zvg
Am Tag nach der verlorenen Abstimmung erklärte Guido A. Zäch in der LNN, dass die Stiftung und die Paraplegiker-Vereinigung weiterkämpfen und an möglichst zentraler Lage Bauland kaufen wolle, um das Projekt eines Zentrums in Grünen verwirklichen zu können.
Es sollte nicht lange dauern. Die zum Teil unwürdige Kontroverse in Risch ist anderen Gemeinden nicht entgangen. Es gab Angebote aus verschiedenen Kantonen. Schliesslich entschied sich Zäch für Nottwil. Das Bauland kaufte er der Brauerei Eichhof ab – mit Betonung auf Bauland.

«Behinderte sind in Nottwil willkommen»

Zäch wollte unter keinen Umständen wieder ein Projekt planen, das mit juristischen und planerischen Hürden durchsetzt ist. Und wie er der Buchautorin Trudi von Fellenberg-Bitzi erzählte, herrschte in Nottwil eine ganz andere Grundstimmung als in Risch. «Sie war respektvoll, und man fühlte sich willkommen.» In einem der ersten Briefe stand der Satz: «Behinderte sind in Nottwil willkommen.»
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass schliesslich das SPZ ausgerechnet in einer Luzerner Gemeinde errichtet wurde. Denn einer der einflussreichsten Gegner für ein neues Paraplegiker Zentrum im Grünen war laut Fellenberg-Bitzi der Luzerner CVP-Regierungsrat Karl Kennel.
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So sieht der Campus in Nottwil heute aus. | zvg
Schon in Risch sprach Kennel als Präsident der schweizerischen Sanitätsdirektoren-Konferenz den Einwohnerinnen und Einwohnern ins Gewissen. «Hände weg, das ist nichts», soll er an einer Info-Veranstaltung gesagt haben. Kein Kanton, keine Versicherung werde mitmachen, man werde kein Personal finden. Und überhaupt gebe es für das Vorhaben keinen Bedarf.
Nach seiner Regierungszeit war Karl Kenner noch Präsident des Schweizerischen Roten Kreuzes, ehe er 1998 im Alter von 69 Jahren verstarb.
Und noch eine Anekdote: In Basel hiess das SPZ noch Schweizerisches Paraplegiker Zentrum; in Nottwil wurde dann das Schweizerische durch Schweizer ersetzt. Das «rische» soll Guido A. Zäch zu sehr an die Gemeinde Risch erinnert haben.
In Nottwil hingegen ist Guido A. Zäch inzwischen Ehrenbürger geworden.
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