Welche Patienten würden Sie bevorzugen?

Welche Patienten sollen bei knappen medizinischen Leistungen zuerst behandelt werden? Kränkere? Jüngere? Die Ansichten von Medizinern, Laien und Ethikern gehen auseinander. Wie weit, zeigt eine neue Studie von ETH-Forschern.

, 20. September 2016 um 14:00
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Derzeit warten in der Schweiz über 1'500 Menschen auf eine Organspende, und die Liste wird immer länger. Spenderorgane sind ein solch knappes medizinisches Gut, dass sich die Frage stellt: Wie werden sie gerecht zugeteilt?

Ethiker haben längst Kriterien-Kataloge für die faire Zuteilung knapper Ressourcen erstellt. Ein Ansatz ist es, die kränksten Patienten prioritär zu behandeln. Denkbar sind auch Losentscheide, das Abarbeiten einer Warteliste, eine prioritäre Zuteilung an die Patienten mit den grössten Erfolgsaussichten (Prognose), an die jüngsten Patienten oder auch eine Kombination von Alter, Prognose und Losentscheid. 

Neun Fairness-Kriterien untersucht

Doch nicht alles, was Ethiker für moralisch richtig halten, betrachten Mediziner und Laien ebenso. Die Forscher Pius Krütli von der ETH Zürich und Timo Smieszek von Public Health England haben deshalb von Ethikern aufgestellte Fairness-Kriterien untersucht. Ihre Studie ist in der Fachzeitschrift «Plos One» erschienen. 
1'267 Personen füllten einen Online-Fragebogen aus, darunter Laien, Mediziner, Medizinstudierende und weitere Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen. Der Fragebogen umfasste neun Kriterien zur fairen Zuteilung knapper medizinischer Ressourcen, welche die Befragten auf drei hypothetische Szenarien anwendeten: Ersatz eines Organs, Bettenvergabe im Pandemiefall, Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks zur Steigerung der Lebensqualität. 

«Kränkste zuerst» finden Laien gerecht

Laien bevorzugten in allen drei Situationen das Kriterium «Kränkste zuerst». An zweiter Stelle folgte die Warteliste, an dritter die Prognose. 
Ärzte betrachten die Situationen differenzierter. Bei Organtransplantationen halten sie die Prognose für das fairste Kriterium, gefolgt von «Kränkste zuerst» und einer Kombination aus Alter, Prognose und Losentscheid. 
«Erstaunlich ist, dass Laien das Alterskriterium bei einer Organtransplantation als eher unfair einstufen, während Mediziner und Ethiker die Bevorzugung von Jungen für einen solchen Eingriff als fair beurteilen», wird Krütli in den «ETH News» zitiert. 

Ethiker argumentieren anders

Geht es um die Bettenzuteilung im Pandemiefall, betrachten Ärzte die Prognose als gerechtestes Kriterium. Die Kränksten sollten erst in zweiter Priorität berücksichtigt werden. Beim Ersatz eines Hüftgelenks erachten auch Mediziner das Kriterium «Kränkste zuerst» als das fairste.
Medizinstudierende beurteilen die Fairness-Kriterien ähnlich wie Ärzte. Gesundheitspersonal hingegen argumentiert ähnlich wie Laien. 
Ganz anders beurteilen Ethiker die verschiedenen Kriterien. Die Studie zeigt laut Krütli deutlich, dass die Normen der Ethiker von der Haltung der Gesellschaft «teilweise weit entfernt» seien. 

  • Hier gehts zum ausführlichen Artikel: «Lackmustest für Fairness-Kompass» in den «ETH News» 

Studie:
Pius Krütli, Thomas Rosemann, Kjell Y. Törnblom, Timo Smieszek: «How to Fairly Allocate Scarce Medical Resources: Ethical Argumentation under Scrutiny by Health Professionals and Lay People» - in: «Plos One», 2016
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