Versicherer weisen Kritik von Sucht Schweiz zurück

Die Stiftung mobilisiert gegen den Alkoholverkauf in der Migros und kritisiert die Versicherer, Sucht-Kosten auf die Prämienzahler abzuwälzen. Die Versicherer kontern.

, 26. Mai 2022 um 06:00
image
«Sucht Schweiz» mobilisiert seit einer Woche mit einer Kampagne gegen den Alkoholverkauf in der Migros. Die Befürchtung: Gemäss Berechnungen der Stiftung leben in der Schweiz zwischen 250'000 bis 300'00 alkoholkranke Menschen. Sollten die Genossenschafterinnen und Genossenschafter dem Alkoholverkauf zustimmen, befürchtet Sucht Schweiz einen Anstieg von Alkoholproblemen. 
Dass sich weder Politik noch Versicherer einschalten, stösst bei Sucht Schweiz auf Unverständnis. Die Gründe: Alkoholmissbrauch gefährdet nicht nur die eigene Gesundheit. Alkoholsucht sorgt neben sozialen Problemen auch für volkswirtschaftliche Kosten in der Höhe von jährlich 2,8 Milliarden Franken
Wie die Stiftung am Montag gegenüber Medinside zu bedenken gab, sei man schon bei der Initiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» auf Unterstützung gestossen. «Die Versicherer können die Kosten letztlich sowieso auf den Prämienzahler umwälzen», liess Sucht Schweiz verlauten.

Versicherer kontern

«Diesen Vorwurf weisen wir ganz klar zurück», schreibt die Krankenkasse CSS auf Anfrage von Medinside. Es gehöre zum Kerngeschäft der CSS und zum ureigenen Interesse, die Kosten tief zu halten. «Es ist absolut gegen unsere Interessen,  wenn die Kosten steigen», betont der Versicherer und gibt die folgende Stellungnahme ab:  
Wir bieten einerseits die obligatorische Grundversicherung an, andererseits Zusatzversicherungen. Die Grundversicherung ist eine Sozialversicherung, es ist von Gesetzes wegen untersagt, Gewinn zu machen. Überschüsse bleiben im System und gehören den Versicherten. 
Mit Zusatzversicherungen hingegen dürfen wir Geld verdienen. Aber das können wir nur, wenn wir attraktive Prämien in der Grundversicherung anbieten. 
Wenn jemand aufgrund einer unattraktiven Prämie in der Grundversicherung von der CSS zu einer anderen Kasse wechselt, dann wandert ziemlich sicher auch die Zusatzversicherung ab. 
Zudem: Je mehr Geld für die Grundversicherung aufgewendet werden muss, desto weniger bleibt für die Zusatzversicherung übrig. Das heisst: Wenn wir die Kosten in die Höhe treiben oder – wie der Vorwurf lautet – die Kosten nur auf die Versicherten abschieben, schaden wir uns selber. 
Neben der CSS konfrontierte die Redaktion die Versicherer Swica, Helsana, Concordia und Group Mutuel mit dem Statement von Sucht Schweiz. Einzig letztere ging konkret auf die Frage der Redaktion ein: 
«Die Prämien spiegeln die Kosten des Gesundheitswesens wider.» Die  Group Mutuel komme ihrer Leistungspflicht stets nach und vergüte die Kosten nach den Regeln, die das BAG festgelegt habe. «Dazu gehören auch Behandlungen aufgrund von Alkoholmissbrauch», schreibt der Versicherer. 

«Nicht unsere Aufgabe»

Hinsichtlich der Migros-Abstimmung zum Alkoholverkauf wollte keiner der Versicherer Position beziehen. Die Debatte betreffe ein privates Unternehmen mit seinen Genossenschaftlern, sind sich alle angefragten Krankenkassen einig. Ebenso erachten die Versicherer es nicht als ihre Aufgabe, ihre Versicherten hinsichtlich der Migros-Abstimmung zu sensibilisieren. 
«Grundsätzlich liegen Gesundheitsvorsorge und Prävention in der Eigenverantwortung des Individuums», gibt die Helsana zu bedenken. Krankenversicherer seien gesetzlich dazu verpflichtet, den Schutz vor möglichen finanziellen Folgen von Krankheiten zu gewährleisten. 
«Seit 2018 zahlen alle Prämienzahler jährlich vier Franken achtzig an die Stiftung für Gesundheitsförderung Schweiz.» Diese sei für die Entwicklung und Durchführung von Programmen der Gesundheitsförderung und Prävention verantwortlich, so die Helsana weiter.

Alkohol Online-Training

Die Augen beim  Thema Alkohol verschliessen die Krankenkassen nicht  «Wir engagieren uns auf vielfältige Weise für Gesundheitsprävention und motivieren unsere Versicherten zu einem gesunden Lebensstil – auch hinsichtlich Alkoholkonsum», erklärt die Concordia. Und während die Helsana im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements Unternehmen auch zum Thema Sucht berät, sensibilisieren alle angefragten Versicherer ihre Kunden mittels ihrer Kundenmagazine zum Thema Sucht. 
Die Swica zum Beispiel geht noch einen Schritt weiter und bietet ein Online-Training für einen bewussten Umgang mit Alkohol an. «Wenn jemand der Meinung ist, dass wir nichts für die Gesundheit unserer Versicherten tun, dann stellt sich die Gegenfrage, weshalb wir Dutzende von kostenlosen Angeboten zum Thema Gesundheit, Gesundheitsförderung, Prävention etc. haben und bei unserem Telemedizin-Anbieter rund hundert medizinische Fachpersonen beschäftigen», sagt die Swica. 

Keine Zahlen vorhanden

Wie hoch die jährlichen Kosten betreffend den Alkoholmissbrauch ihrer Versicherten sind und ob sich diese Zahlen während der Pandemie verändert haben, darüber konnte keiner der Versicherer Auskunft geben. Man habe keine spezifischen Diagnosecodes für Behandlungen, die es ermöglichen würden, die jährlichen Kosten des Alkoholmissbrauchs zu identifizieren und zu beziffern, erklärt Group Mutuel.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Alzheimer Schweiz: SP-Urgestein wird Präsident

Der ehemalige Bieler Stadtpräsident Hans Stöckli übernimmt die Spitze der Organisation.

image

Knall bei den Kassen: 13 Versicherer verlassen Santésuisse und Curafutura

Die grössten Krankenversicherer wollen mit einem neuen Verband eine gemeinsame Stimme schaffen.

image

Monsieur Prix mag das Réseau de l’Arc

Preisüberwacher Stefan Meierhans schlägt vor, dass die Politik viel stärker auf grosse Gesundheitsnetze mit festen Budgets setzt.

image

Sparvorschlag des Tages: Die Triple-A-Franchise

Zwei Ökonomen der Uni Freiburg haben eine Idee, wie sich das Franchise-System buchstäblich umstürzen liesse. Zum Nutzen von Prämienzahlern und Patienten wie von Versicherern.

image

Keine Zulassungserleichterung für Orphan Drugs

Eine schnellere Zulassung für Arzneimittel bei seltenen Krankheiten hätte laut dem Bundesrat hohe Kostenfolgen.

image

Kinder- und Jugendpsychiatrie: Nun soll's der Bundesrat richten

Der Nationalrat verlangt, dass der Bundesrat in die Kompetenz der Kantone und der Tarifpartner eingreift.

Vom gleichen Autor

image

Kinderspital verschärft seinen Ton in Sachen Rad-WM

Das Kinderspital ist grundsätzlich verhandlungsbereit. Gibt es keine Änderungen will der Stiftungsratspräsident den Rekurs weiterziehen. Damit droht der Rad-WM das Aus.

image

Das WEF rechnet mit Umwälzungen in einem Viertel aller Jobs

Innerhalb von fünf Jahren sollen 69 Millionen neue Jobs in den Bereichen Gesundheit, Medien oder Bildung entstehen – aber 83 Millionen sollen verschwinden.

image

Das Kantonsspital Obwalden soll eine Tochter der Luks Gruppe werden

Das Kantonsspital Obwalden und die Luks Gruppe streben einen Spitalverbund an. Mit einer Absichtserklärung wurden die Rahmenbedingungen für eine künftige Verbundlösung geschaffen.