Auf die Frage einer angehenden Ärztin, ob sie für die OP jetzt chirurgische Kleidung anziehen könne, folgte die Antwort: «Nein, aber Sie können sich ausziehen.» Das ist kein Einzelfall, sondern nur ein Beispiel aus einer Umfrage unter Medizin-Studierenden der Universität Genf. Sexismus, Belästigungen und sogar sexuelle Übergriffe sind offenbar auch in der Medizinwelt keine Ausnahme, insbesondere während eines Praktikums im Spital.
An der Universität und im Universitätsspital Genf (HUG) sollen solche Ereignisse öfters als gedacht vorkommen. Die beiden Institutionen haben nun Massnahmen dagegen ergriffen: Nebst einer Telefon-Hotline für Opfer von Belästigungen, einer breiten Sensibilisierungs-Kampagne sind spezielle Kurse vorgesehen, die das Thema behandeln.
Uni und Spital zeigen Null-Toleranz
«Es ist höchste Zeit, dieser sexistischen Kultur, die unseren Beruf plagt, ein Ende zu setzen», sagt Camille Bleeker. Die angehende Ärztin hat gemeinsam mit Lara Chavaz die Umfrage bei den Medizinstudierenden durchgeführt – und mehrere Beispiele von Opfern oder Zeugen von Belästigungen im Spitalalltag dokumentiert.
- Zu Beginn der Operation sagte der Leitende Operateur vor zwei Assistenzärzten und zwei Anästhesisten zu einer Praktikantin: «Du könntest seine Eichel halten, das ist ein guter Praktikumsjob».
- Ein Assistenzarzt nimmt den Penis eines Patienten in die Hand und fragt eine andere Praktikantin, ob ihr Freund auch so einen grossen habe.
- Während einer Kaffee-Pause beginnen ein Assistenzarzt und ein Oberarzt auf das Gesäss einer der vorbeikommenden Pflegefachfrauen zu starren und sagten: «Die möchte ich gerne mal in meinem Bett haben.»
- Ein Chefarzt bittet eine angehende Medizinerin, Röntgenaufnahme zu analysieren und fügt hinzu: «Jedes Mal, wenn du einen Fehler machst, ziehst du ein Kleidungsstück aus.»
Die Uni Genf hat zudem einen Brief an die Kaderärzteschaft und Vorgesetzten im Gesundheitswesen geschickt. Die Hochschule erinnert darin, dass sexistisches oder diskriminierendes Verhalten den Werten der Institution zuwiderläuft. Gleichzeitig wird dazu aufgefordert, stets «wachsam» zu sein. Und die Uni warnt, dass solche «inakzeptable Verhaltensweisen» sanktioniert und bestraft werden.
Auch Männer betroffen
«Mit diesen Massnahmen möchten wir das Schweigen brechen und Zeugen ermutigen, einzugreifen, um die Opfer zu unterstützen», sagt Bleeker, die im 5. Jahr Medizin studiert. Es seien nicht nur Frauen davon betroffen, ergänzt sie. «Obwohl die überwiegende Mehrheit der Opfer Frauen sind, bleiben Männer nicht verschont.»
Egal ob Mann oder Frau, das Problem ist dasselbe: Kaum jemand reagiert auf sexistische Äusserungen oder Kommentare. Über drei Viertel der Opfer schweigen, sagt Bleeker gegenüber Medinside. Auch die Hälfte der Zeugen seien still und andere spielten den Vorfall herunter. Was bleibt, sei Demütigung, Wut und Scham.