Schweizer Starchirurg unter Verdacht

Er war «Schweizer des Jahres» und gilt als einer der besten Kinderherzchirurgen - nun droht der tiefe Fall.

, 13. Juli 2020 um 13:15
image
Er ist der in der Öffentlichkeit wohl bekannteste lebende Mediziner der Schweiz. Seine Autobiografie ist ein Bestseller, 2009 wurde er zum «Schweizer des Jahres» gewählt, dem Kindespital Zürich diente er jahrelang als Aushängeschild. Die Rede ist von René Prêtre. Bis 2012 war er am Zürcher Kispi als Leiter der Herzchirurgie tätig. Heute leitet er die Herzchirurgie am Unispital Lausanne und die Kinderherzchirurgie am Unispital Genf (HUG).
Nun sieht sich Prêtre mit massiven Vorwürfen konfrontiert. Hauptvorwurf: Er soll für eine Studie alle Probandinnen und Probanden erfunden haben. Die Umstände, dass die Vorwürfe nun in der «Schweiz am Wochenende» an die Öffentlichkeit kommen, könnten so auch in einem Krimi stehen.

Sind die Fälle erfunden?

In den 1990er-Jahren ist Prêtre am HUG in Genf tätig. Chefarzt der Herzchirurgie ist damals Bernard Faidutti, der auch Prêtres Mentor war. Dieser wird 1998 stutzig. Er hat das Gefühl, dass etwas an Prêtres im «The Annals of Thoracic Surgery» publizierten Studie nicht stimmt. In der Studie beschreibt Hauptautor Prêtre sechs Fälle mit Aorta-Rissen. Wie die SaW weiter schreibt, hat Prêtre die Patientinnen und Patienten in der Studie sehr detailliert beschrieben.
In Briefen konfrontiert Faidutti Prêtre - dabei wirft er letzterem im Zusammenhang mit zwei weiteren Studien ebenfalls Verfehlungen vor. Doch Prêtre hat offenbar nie auf die expliziten Vorwürfe reagiert. Faidutti wendet sich 2001, zum Zeitpunkt seiner Pensionierung, an das HUG. Im zwanzigseitigen Dossier schreibt er gemäss der SaW unter anderem: «Ich habe alle Fälle, die zwischen dem 1. Januar 1993 und dem 31. Dezember 1996 in meiner Abteilung operiert wurden, persönlich überprüft. Es war mir nicht möglich, herauszufinden, welche sechs Patienten Gegenstand dieser Publikation sein könnten.» Und weiter: «Die Publikation unterlässt es, die anderen Fälle zu nennen, die während dieser Zeit auftraten und als Misserfolg geendet sind.»

Im Safe aufbewahrt - anonym zugeschickt

Der damalige Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Genf kommt damals dennoch zum Schluss, dass die Studie «auf realen Patientendaten basiert war». Faidutti zweifelt aber daran an, ob diese Studie tatsächlich erfolgt ist. Denn eines ist klar: Die sechs Patientendossiers im Archiv des HUG bleiben unauffindbar - bis heute.
Dennoch geraten die Vorwürfe etwas in Vergessenheit. Die Kopien seiner Briefe an Prêtre legte Faidutti in einem Safe bei einem Treuhänder ab. Faidutti stirbt 2014 im Pensionsalter.
Doch dann werden 2019 Vorwürfe gegen Prêtre am Kinderspital Zürich laut - so soll etwa die Sterblichkeit bei der Behandlungen vom Hypoplastischen Linksherzsyndron unter Prêtre massiv höher gewesen sein als in  anderen Spezialkliniken. Das bewegt offenbar jemanden dazu, die Briefe aus dem Safe zu nehmen - und sie anonym der SaW zuzuspielen.

Widersprüche zu den Dossiers

Die Zeitung hat die Umstände seither eingehend recherchiert. Weitere Zeugen stützen Faiduttis Vorwürfe - manche stützen aber - zumindest teilweise - auch Prêtre.  Prêtre selbst sagt, dass die Dossiers im Archiv deshalb nicht zu finden seien, weil damals nicht professionell archiviert worden sei. Es gebe auch andere Akten, die nicht auffindbar seien. Die SaW hat derweil mit mehreren Personen gesprochen, die dieser Aussage widersprechen. Es seien stets alle Fälle abgelegt worden.
Prêtre sagt, er habe die Fälle auf Computerdisketten gespeichert gehabt. Diese habe er aber inzwischen entsorgt. An die einzelnen Fälle könne er sich nicht mehr erinnern. Prêtre sagt zudem, er habe die Liste damals dem Dekan gezeigt. Dieser sagt, er habe damals Unterlagen von Prêtre erhalten, aber keine Liste.

Weitere verdächtige Studien 

Widersprüche gibt es auch in einer von Faidutti ebenfalls bemängelten Einzelfallstudie, die Prêtre ebenfalls in den 1990er-Jahren veröffentlicht hat. Prêtre habe darin, so der Vorwurf, unterschlagen, dass das operierte Kind ein halbes Jahr nach dem Eingriff verstarb. Prêtre stellt sich auf den Standpunkt, dass das Kind zum Zeitpunkt der Einreichung noch lebte. Doch das Kind ist im April verstorben, die Studie sei jedoch erst im folgenden Herbst eingereicht worden. In einer anderen Studie warf Faidutti Prêtre vor, Faidutti als Co-Autoren auf einer Studie aufgeführt zu haben und dazu seine Unterschrift gefälscht zu haben.
Mit Prêtre ist die Reihe prominenter Mediziner um einen Namen reicher, die sich mit Vorwürfen betreffend ihrer beruflichen Integrität konfrontiert sehen.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

USZ macht Verlust von 49 Millionen Franken

Verantwortlich dafür sind unter anderem inflations- und lohnbedingte Kosten. Zudem mussten Betten gesperrt werden.

image

Auch das KSW schreibt tiefrote Zahlen

Hier betrug das Minus im vergangenen Jahr 49,5 Millionen Franken.

image

...und auch das Stadtspital Zürich reiht sich ein

Es verzeichnet einen Verlust von 39 Millionen Franken.

image

Kantonsspital Olten: Neuer Chefarzt Adipositaschirurgie

Urs Pfefferkorn übernimmt gleichzeitig die Führung des Departements Operative Medizin.

image

SVAR: Rötere Zahlen auch in Ausserrhoden

Der Einsatz von mehr Fremdpersonal war offenbar ein wichtiger Faktor, der auf die Rentabilität drückte.

image

Wie relevant ist das GZO-Spital? Das soll das Gericht klären.

Das Spital in Wetzikon zieht die Kantonsregierung vors Verwaltungsgericht – und will belegen, dass es unverzichtbar ist.

Vom gleichen Autor

image

Covid-19 ist auch für das DRG-System eine Herausforderung

Die Fallpauschalen wurden für die Vergütung von Covid-19-Behandlungen adaptiert. Dieses Fazit zieht der Direktor eines Unispitals.

image

Ein Vogel verzögert Unispital-Neubau

Ein vom Aussterben bedrohter Wanderfalke nistet im künftigen Zürcher Kispi. Auch sonst sieht sich das Spital als Bauherrin mit speziellen Herausforderungen konfrontiert.

image

Preisdeckel für lukrative Spitalbehandlungen?

Das DRG-Modell setzt Fehlanreize, die zu Mengenausweitungen führen. Der Bund will deshalb eine gedeckelte Grundpauschale - für den Direktor des Unispitals Basel ist das der völlig falsche Weg.