Warum die Patientenzufriedenheit nicht wirklich zählt

Wie sollte Qualität in der stationären Medizin gemessen werden – und wie nicht? Die Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin veröffentlicht erstmalig Empfehlungen.

, 1. Juli 2021 um 05:45
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In den vergangenen Jahren haben das Bedürfnis und die Anforderungen, Qualität im Gesundheitswesen zu messen und sichtbar zu machen, zugenommen. Die Qualitätskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) publiziert vor diesem Hintergrund nun erstmalig eine Liste von Qualitätsindikatoren, die im stationären Bereich hilfreich sein können. Im Zentrum  steht die Betreuung und Behandlung von zunehmend multimorbiden Patientinnen und Patienten. 
In einer Literaturanalyse wurden dabei insgesamt 36 potenziell geeignete Prozess-, 15 Outcome- und 4 Strukturqualitäts-Indikatoren identifiziert. Die Indikatoren wurden gemäss den Kriterien Wichtigkeit, angemessene Behandlung, qualitativ hochstehende klinische Evidenz, Validität und Reliabilität sowie Anwendbarkeit überprüft.
Patientenzentrierte Versorgungsqualität
  • 1. Anteil provisorischer Austrittsberichte, die innerhalb von 24 Stunden an den nachbehandelnden Arzt beziehungsweise die Ärztin übermittelt wurden mit Angaben zu Diagnosen, Procedere und ­Medikamenten.
  • 2. Anteil der älteren (≥65 Jahre) Personen, bei denen während der Hospitalisation ein neues Benzodia­zepin begonnen worden ist.
  • 3. Anteil der Patienten und Patientinnen ≥65 Jahre, die danach gefragt wurden, ob, und wenn ja, wie oft (Anzahl) und in welcher Weise (Sturzhergang) sie in den letzten 12 Monaten gestürzt waren.
  • 4. Anteil der Patienten und Patientinnen, welche eine Transfusion bei einem Hämoglobin(Hb)-Wert von >8 g/dl erhalten.
Allgemeine Versorgungsqualität
  • 5. Anteil der Critical-Incidence-Reporting-System (CIRS)-Fälle bei auf der Allgemeinen Inneren Medizin (AIM) hospitalisierten Patienten und Patientinnen, die analysiert und diskutiert werden.
Gesundheit der Mitarbeitenden
  • 6. Anteil der Mitarbeitenden mit potenziellem Kontakt mit Blut oder mit blutkontaminierten Materialien, der einen ausreichenden Hepatitis-B-Impfschutz aufweist.

Klinikinformationssysteme anpassen

Wichtig dabei sei, dass Indikatoren eingesetzt würden, um die Messung eines Qualitätsverbesserungs-Zyklus im Rahmen eines ­geordneten Prozesses für eine bessere Qualität zu unterstützen.
Damit viele der Indikatoren erfasst werden können, müssen der Qualitätskommission zufolge Kli­nik­informationssysteme angepasst und Ergebnisse systematisch und einheitlich erhoben werden. 

Was die Qualitätskommission nicht empfiehlt

Die SGAIM äussert sich auch zu drei Indikatoren, die sie nicht empfehlen könne. 
  • 1. Anteil vermeidbarer Rehospitalisationen.
  • 2. Zufriedenheit der Patienten und Patientinnen mit ihrem Aufenthalt im Akutspital.
  • 3. Outcome-Indikatoren, welche das Auftreten vermeidbarer Behandlungskomplikationen in einer medizinischen Einrichtung in Form einer Stichtagerhebung erfassen.

Messungenauigkeit oder ungenügende Evidenz

Die drei nicht zu empfehlenden Indikatoren sind gemäss SGAIM insbesondere aufgrund der Messungenauigkeit, der fehlenden Verfügbarkeit von aktuellen Daten und wegen ungenügender Evidenz der Wirksamkeit ungeeignet, um sie in der stationären Allgemeinen Inneren Medizin einzusetzen.
Hauptkritikpunkt des Anteils vermeidbarere Rehospitalisationen ist, dass die Messmethode ungenügend genau wirkliche Fälle von vermeidbaren Rehospitalisa­tionen diskriminiere. Die Zuteilung der Fälle erfolge nicht nach transparenten und akzeptierten Kriterien und sei beeinflussbar.

Zufriedenheit kein geeigneter Indikator

Auch die Patientenzufriedenheit mit ihrem Spitalaufenthalt sei kein geeigneter Qualitätsindikator und könne nicht mit der Behandlungsqualität gleich­gesetzt werden. Und die Definition der «allgemeinen Zufriedenheit» sei zu unklar, um Verbesserungsmassnahmen abzuleiten. Im Gegensatz dazu sei eine Messung der ­Patientenerfahrungen (patient experience) besser geeignet, um Hinweise für Verbesserungsbedarf zu erfassen.
Die SGAIM erwähnt in diesem Zusammenhang die Messmethodik des Nationalen Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ). Diese erfasse nicht alle Patienten und Patientinnen. Und die Adjustierung für wichtige Einflussfaktoren sei zu ungenügend, um verschiedene Spitäler miteinander vergleichen zu können. Dies wiederum führe zu einem «unzulässigem Benchmarking» und sei ein «Vergleich mit Äpfeln und Birnen».

Gegen Outcome-Indikatoren entschieden

Die Kommission hat sich zudem aktuell gegen Outcome-Indikatoren entschieden, wie zum Beispiel die Dekubitusprävalenz und Sturzprävalenz. Deren Erfassung sei sehr aufwendig und sie seien meist nur in Kombination mit Prozessindikatoren aussagekräftig. Outcome-Raten unerwünschter Behandlungskomplikationen für die Behand­lungsqualität sollten − wenn überhaupt − in Form von repräsentativen Vollerhebungen gemessen werden, wie die SGAIM-Qualitätskommission weiter schreibt. Darüber hinaus sollten sie mit sinnvollen Prozessindikatoren ergänzt werden.
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