Novartis soll sich Suchtmediziner gekauft haben

Hilft die E-Zigarette gegen Tabaksucht? Hinweise gibt es. Doch diese Einsicht wäre problematisch für die Hersteller von Nikotinpflastern. Hinter den Kulissen tobt ein Lobbykampf – und die Tabakbranche wittert den grossen Skandal.

, 23. Mai 2016 um 15:45
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Die eine Organisation heisst Wissenschaftlicher Aktionskreis Tabakentwöhnung, die andere heisst Deutsches Krebsforschungszentrum, und beides tönt ja schon mal recht akademisch. Doch vielleicht geht es auch eher um Marktanteile. Laut einem Bericht der «Süddeutschen Zeitung» sowie der Social-Media-Site «Blasting News» bestehen enge, um nicht zu sagen verdächtige Verbindungen zwischen den beiden Institutionen mit den soliden Kürzeln DKFZ und WAT – sowie Novartis auf der anderen Seite.
Konkret soll jener Wissenschaftliche Aktionskreis Tabakentwöhnung von einer Frankfurter PR-Firma im Auftrag von Novartis Consumer Health gegründet worden sein. Die PR-Firma namens Annedore Klinksiek hatte den verbindenden Auftrag sogar auf ihrer eigenen Website verraten, unterm Stichwort «Referenzen». Notabene ist auch die Geschäftsführerin des WAT hauptberuflich PR-Spezialistin. 
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Und auf der anderen Seite ist die Leiterin des DKFZ-Zentrums «für Tabakkontrolle» ebenfalls Mitglied bei WAT; gemeinsam veröffentlichen die beiden Organisationen auch einen Newsletter zur Tabakentwöhnung
Interessant wird die Sache nun, weil hier womöglich Weichen gestellt werden in einer wichtigen und akuten Tabak-Streitfrage, nämlich: Können elektronische Zigaretten ein Mittel der Wahl zur Tabakkontrolle werden?
Die Antwort von DKFZ und WAT lautet: Nein. Die Organisationen äusserten sich in mehreren Zusammenhängen kritisch zur Idee, wobei das DKFZ in seiner «Roten Reihe Tabakprävention» seit rund drei Jahren die elektronische Zigarette zum eigentlichen Schwerpunktthema erhoben hat.

Das Royal College of Physicians sieht es anders

Zu erwähnen ist nun, dass Novartis Consumer Health bekanntlich diverse Rauch- und Nikotinentwöhnungs-Produkte im Angebot hat. 
Was wiederum den Verdacht anheizt, dass hier ein Konkurrenzprodukt unter Zuhilfenahme von wissenschaftlicher Spiegelfechterei verdrängt werden soll.
Denn die E-Zigarette wird mittlerweile von ernsthaften Forschern als denkbare und womöglich unterschätzte Variante betrachtet, um die Tabaksucht zu mildern oder auch die Abkehr einzuleiten. Erst vor wenigen Wochen hatte sich das Royal College of Physicians, also die Standesorganisation der englischen Ärzte, für die Empfehlung von E-Zigaretten ausgesprochen: Sie seien die beste Hoffnung, Tabaksüchtige zum Aufhören zu bringen. 

Es geht ums Werbeverbot

Doch in der gesundheitspolitischen Diskussion sind diese Nikotinverdampfer eher ein schlechtes Standing, und so hat die Regierung in Berlin derzeit alles aufgegleist, um auch E-Zigaretten in ihr Totalwerbeverbot für Tabakprodukte aufzunehmen.
Heute schaltete sich denn der Deutsche Zigarettenverband ein: Die Branchenorganisation spricht von einem regelrechten Skandal. Man sei «empört» über die engen Verflechtungen zwischen DKFZ, WAT und der Pharmaindustrie. 

«…nicht das geschäftliche Interesse von Nikotinpflastern»

«Wissenschaftliche Einrichtungen zur Tabakkontrolle und Suchtmedizin müssen jeden Anschein von Interessenkonflikten vermeiden», so Verbands-Geschäftsführer Jan Mücke in Berlin. Und weiter: «Im Mittelpunkt der Bewertung neuartiger, risikoreduzierter Tabakerzeugnisse, elektronischer Zigaretten und von Ersatzprodukten müsse die Minimierung gesundheitlicher Risiken für Raucher stehen und nicht das geschäftliche Interesse der Hersteller von Nikotinpflastern.»
Anil Batra, Mediziner, Professor an der Universität Tübingen und Präsident des WAT, verneinte in der «Süddeutschen Zeitung» einen Zusammenhang zwischen dem Verein und dem Schweizer Pharmakonzern: Gemäss «ihm vorliegenden Daten der letzten zehn Jahre gebe es keine Zusammenarbeit jeglicher Form zwischen dem Verein und Novartis. Er selbst habe zudem keine finanziellen Mittel erhalten, sondern lediglich der Verein.»
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