Medien melden massenhaft Medizin-Mumpitz

Wie präzise berichten die Medien über medizinische Entwicklungen und Forschungsergebnisse? Erstmals wurde dies im deutschen Sprachraum gross untersucht. Das Ergebnis ist erschütternd.

, 28. Dezember 2015 um 16:00
image
  • pharmazie
  • medikamente
  • forschung
«Chili hilft beim Abnehmen». «Neues Mittel gegen Krebs». «Hoffnung für Querschnittgelähmte!»: Mediziner wie Laien kennen diesen Dauerregen von Gesundheits-News in Presse, Radio, Fernsehen und Internet. 
Und viele ahnen, dass hier viel Falsches den Informationsfluss runterzieht.
Wieviel, dies zeigt jetzt die wohl bislang grösste Stichproben-Erhebung im deutschen Sprachraum. Ein  Team der Donau-Universität Krems untersuchte 990 Medien-Beiträge, die  zu gesundheitlichen Fragestellungen in Österreich publiziert wurden; dabei wurde über insgesamt 219 verschiedene Themen berichtet. 
Das Ergebnis lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die übertreiben alle gewaltig. 
Oder in Zahlen:

  • Nur knapp 11 Prozent der Berichte waren präzise.
  • Fast ein Drittel (29,7 Prozent) waren leicht übertrieben.
  • Und ziemlich genau sechzig Prozent gaben die Evidenz zu medizinischen Fragestellungen stark verzerrt wider – sie berichteten also klar über- oder untertrieben über die Wirksamkeit von Behandlungen beziehungsweise über die Aussagekraft einer Studie.  

Boulevardmedien informierten verzerrter als Qualitätsmedien, so eine Erkenntnis. Erstaunlicher an der an sich wenig überraschenden Erkenntnis ist allerdings ein Detail: Der Unterschied erklärte sich lediglich aus der Auswahl der berichteten Themen. Die Berichterstattung zu denselben Themen unterschied sich indessen zwischen Boulevard- und Qualitätsmedien nicht signifikant. 

Warnung vor Diät-Durchbrüchen

Denn das Ausmass von Übertreibung und Unpräzision hängt sehr stark vom Thema ab, um das geht.
Einige Beispiele:

  • An meisten verdreht wurde bei Artikeln über Gewichtssenkung und Kosmetik. Hier sichtete das Team um Bernd Kerschner 97,6 Prozent «stark verzerrte Artikel» (also fast hundert Prozent…). Und kein einziger Beitrag war vollauf präzise. 
  • Ebenfalls zum Ungefähren neigt die Presse bei Themen der Psychologie und Psychotherapie, ferner bei Berichten über Nahrungsergänzungs-Mittel und die Wirkung von OTC-Medikamenten.
  • Halbwegs genau war noch die Berichterstattung über rezeptpflichtige Medikamente. 
Gerade der Unterschied zwischen zulassungspflichtigen und nicht-zulassungspflichtigen Mitteln lässt vermuten, dass kommerzielle Beeinflussungs-Interessen eine starke Rolle spielen. Die PR-Bearbeitung im letzteren Bereich ist besonders gross – mit den erwähnten Folgen der Übertreibungen.


«Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die meisten Medien PR-Meldungen von kommerziellen Anbietern weitgehend ungeprüft übernehmen», sagt denn auch Bernd Kerschner.

  • Bernd Kerschner, Jörg Wipplinger, Irma Klerings, Gerald Gartlehner: «Wie evidenzbasiert berichten Print- und Online-Medien in Österreich? Eine quantitative Analyse», in: «Zeitschrift für Evidenz, Fortschritt und Qualität im Gesundheitswesen», 10. Juni 2015.

Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Klagen und Milliardenverlust: Rite-Aid stellt Insolvenzantrag

Hunderte Klagen, Milliardenverluste und rückläufige Umsätze – eine der grössten US-Apothekenketten will sich in einem Insolvenzverfahren sanieren.

image

Forscher lassen Zähne nachwachsen

Japanische Forscher haben Zahnknospen entdeckt, welche durch die Hemmung eines Gens zum Wachstum angeregt werden könnten.

image

Apotheker soll in Handel mit Betäubungsmitteln verwickelt sein

Ein Apotheker aus dem Kanton Zürich wird unter anderem verdächtigt, seine Sorgfaltspflicht beim Umgang mit Hustensirup verletzt zu haben.

image

Zum Arzt? In der Romandie jetzt auch in die Apotheke

Eine Konsultation in der Apotheke statt beim Arzt. In der Westschweiz ist das nun möglich. Die Kritik: Das ist gefährlich und letztlich teurer.

image

Medikamente: «Konzeptlose Preissenkungen sind unverantworlich»

Santésuisse nannte sechs Punkte, bei denen der Bundesrat Kostensenkungsmassnahmen hätte ergreifen können. Drei davon betreffen Medikamente.

image

Jetzt muss Sandoz Geld verdienen

Ein weniger nobler Geschäftssitz und mehr Nachahmer-Präparate von Biotechmedikamenten: So will der Sandoz-Chef die neue Firma rentabel machen.

Vom gleichen Autor

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.

image

Wer will bei den Helios-Kliniken einsteigen?

Der deutsche Healthcare-Konzern Fresenius sucht offenbar Interessenten für den Privatspital-Riesen Helios.