Ist es heute noch überlebenswichtig, dass ein Spital in der Nähe ist?

Dieser Frage gingen Berner Forscher anhand von zwei gefährlichen Leiden nach: Hirnschlag und Herzinfarkt. Und tatsächlich: Die Fahrzeiten zum nächsten Spital können eine kritische Rolle spielen.

, 16. November 2016 um 07:57
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Hirnschlag und Herzinfarkt: Das sind Ereignisse, bei denen schnelle und richtige ärztliche Hilfe massiv entscheiden kann über Heilungschancen und Überleben; Ereignisse, bei denen es zwangsläufig wichtig werden dürfte, ob ein Spital in der Nähe ist – oder eben nicht.
Dies jedenfalls eine weit verbreitete Ansicht. Eine Ansicht auch, die – beispielsweise – bei der anstehenden Abstimmung über die Spitalstandort-Initiative im Kanton Bern bei vielen Stimmbürgern eine Rolle spielen könnte: Was, wenn mein nächstes Spital geschlossen würde? Was wäre dann mit mir bei einem Herzanfall? Bei einem Schlaganfall?
Jetzt gibt es präzisere Antworten dazu. Sie stammen von einem Team des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin in Bern sowie des Inselspitals. Die Forscher unter Leitung von Marcel Zwahlen nahmen die Daten von 4,5 Millionen Menschen in der Schweiz – respektive 19'300 Todesfällen wegen akutem Herzinfarkt sowie 21'900 Hirnschlag-Opfern. Dann stellten sie diese Fälle ins Verhältnis zur Distanz, welche die Patienten zum nächsten Spital hatten: Wie war jeweils die Fahrzeit zum nächsten Akutspital, zum Akutspital mit Notfall, zu einem Zentrumsspital, einem Universitätsspital?
Ein einleitendes Ergebnis dabei: Die durchschnittliche Fahrzeit zum nächsten Akutspital beträgt in der Schweiz 6,5 Minuten – und es dauert im Schnitt knapp 30 Minuten, bis man bei einem Unispital ankommt.
Doch macht nun diese Distanz einen dramatischen Unterschied aus? Die Antwort: Durchaus – aber kommt auch drauf an.

Männer nicht gleich Frauen

Bei jüngeren Frauen (unter 64) konnten die Berner Forscher beispielsweise keinen Zusammenhang festmachen zwischen Fahrzeit zum nächsten Spital und den Todefall-Raten wegen Herzattacken.
Bei jüngeren Männer aber stieg das Risiko, an einem akuten Herzinfarkt zu sterben, wenn sie weiter entfernt von einem Zentrums- oder Unispital wohnten. 

In a Nutshell:

  • Eine Erhebung von Zusammenhängen zwischen der Mortalität bei Herzinfarkt sowie Hirnschlag und der Nähe eines Spitals zeigt, dass die Distanz tatsächlich eine Rolle spielen kann.
  • Insbesondere bei älteren Personen stieg das Todesfallrisiko, wenn die Fahrzeit länger war.
  • Beim Herzinfarkt waren diese Korrelationen etwas deutlicher als beim Hirnschlag.
Bei älteren Frauen und Männern wiederum – ab 65 Jahren – liess sich ein Zusammenhang festmachen, wenn man ausschliesslich auf den Faktor Distanz achtete. Also: Je weiter das Spital entfernt, desto höher erschien hier das Todesfallrisiko bei einem Herzvorfall.
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Verteilung der Spitäler in der Schweiz (Grafik: Spitalfinder)
Beim Hirnschlag waren die Korrelationen weniger deutlich, insbesondere bei jüngeren Patienten: «Wir fanden bei Menschen und Frauen im Alter zwischen 20 und 64 keine klare Beziehung zwischen Hirnschlag-Mortalität und Fahrzeit», so die Autoren.
Allerdings gab es doch bei älteren Personen «significant associations» zwischen Fahrdauer zum nächsten Spital – welcher Art auch immer – und den Todesfällen wegen Hirnschlag.

Wenn das Zeitfenster kleiner wird

Ein Grund könnte hier darin liegen, dass die Alarmzeit bei älteren Menschen viel ausgedehnter ist, das heisst: Hier dauert es tendenziell länger, bis der Patient selber oder dessen Symptome entdeckt werden – so dass das Zeitfenster für Rettungsmassnahmen kleiner ist. Und logischerweise wird die Distanz zum Spital dann eher zu einem kritischen Punkt.
Bleiben die bemerkenswerten Unterschiede, die laut der Studie beim Herzinfarkt aufscheinen – zwischen Frauen und Männern, zwischen Jüngeren und Älteren, zwischen der Nähe eines Akutspitals und der Rolle eines Unispitals. Hierbei lässt sich das Team um Marcel Zwahlen auf keine Deutung hinaus. Man habe es wohl mit einem komplexen Zusammenspiel vieler Faktoren innerhalb der Versorgungs-Abläufe zu tun («a complex interplay of many factors along the care pathway»).
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