Dieser Arzt leitet die derzeit grösste mobile Notfallstation

Eine so grosse mobile Notfall-Praxis gab es in der Schweiz noch nie: Sie steht im Pfadilager im Goms und wird von einem versierten Veranstaltungs-Arzt geleitet.

, 3. August 2022 um 12:00
image
  • ärzte
  • praxis
Die grösste je in der Schweiz aufgestellte mobile Notfall-Praxis gleicht mehr einem riesigen Festzelt denn einem medizinischen Zentrum: Die «Praxis» steht neben der Flugpiste des ehemaligen Militärflugplatzes in Ulrichen (VS) und soll die Gesundheit von 30'000 Pfadern sicherstellen.

70 Ärztinnen und Ärzte vor Ort

Chef der Praxis ist der St. Galler Arzt Raphael Stolz. Zusammen mit 70 Ärztinnen und Ärzten, über 200 Pflegefachpersonen und zwei Sanitätskompanien ist er zwei Wochen lang fürs Bundeslager (Bula) zuständig.
Die Notfall-Praxis ist professionell improvisiert: Die Zeltböden vibrieren, unter dem Zeltdach wird es tagsüber 30 Grad warm. Das setzt den Laborgeräten zu. Doch Raphael Stolz kennt solche Herausforderungen. Denn er ist ein geübter Veranstaltungs-Arzt (siehe Kasten weiter unten).

Der etwas andere Alltag eines Arztes

Er weiss, was im Notfall gleich wie in der normalen Arztpraxis läuft – und vor allem weiss er auch, was nicht gleich läuft. Ein Beispiel: In der Notfall-Praxis hängt ein Plan des ganzen Pfadi-Geländes. Mit Magneten und Zahlen führen die Fachpersonen genau Buch, wo Magen-Darm-Beschwerden auftauchen. Sollten sich die Fälle irgendwo häufen, kann die Ursache – verschmutztes Wasser, verdorbenes Essen – schneller aufgespürt werden.
Aber auch sonst ist der Alltag des Praxis-Chefs Raphael Stolz etwas anders als üblich. Im Interview sagt er, wie dieser derzeit aussieht – und was so eine grosse mobile Notfall-Praxis kostet.

Raphael Stolz, Sie könnten in der Notfallpraxis 800 Patienten pro Tag betreuen - wenn nötig. Wie viele sind es tatsächlich?

Ich glaube nicht, dass wir 800 erreichen werden. So wie es derzeit aussieht, werden wir auf etwa 600 bis 700 pro Tag kommen.

Haben Sie sonst noch so beeindruckende Zahlen?

Wir brauchen Medikamente im Wert von etwa 40’000 Franken.

Wovon benötigen Sie am meisten?

Schmerzmittel und Antibiotika. Wir haben halt viele stark verschmutzte Wunden. Auch entzündungshemmende Salben sind der Renner.

Wegen was kommen die Patienten?

Beim Aufbau am Anfang hatten wir viele Hammerverletzungen: Wenn fast 10'000 Leute bauen, kann das passieren. Dann kamen etliche Hitzschläge dazu. Im Moment haben wir sehr viele klassische Lagerverletzungen: Schürfungen, Verstauchungen und Schnittwunden. Magen-Darm-Erkrankungen haben wir eher wenig.

Sie haben auch einen gut ausgerüsteten Röntgen- und Operations-Container. Was operieren Sie dort?

Wir machen dort die Wundversorgungen. Dank unserem Handchirurgen können wir auch einmal einen eröffneten Schleimbeutel verarzten oder eine nicht allzu komplexe Sehnennaht machen. Aber Operationen an sich machen wir nicht. Wir bringen aber Knochenbrüche und ausgerenkte Gelenke wieder in die korrekte Stellung.

Übernachten Sie eigentlich auch im Zelt?

Nein, ich habe eine Ferienwohnung gemietet. Ich bin froh um einen Rückzugsort. Aber es gibt einige Pfader unter den Ärzten, die im Zelt schlafen.

Wie gefällt Ihnen die Arbeit in der mobilen Praxis? So gut, dass Sie gerne noch länger hier arbeiten würden?

Nein, ich glaube nach zwei Wochen ist es genug. Nicht dass mir der ungeregelte Betrieb nicht gefallen würde. Ich bin ja Notfallmediziner, ich bin es gewohnt, am Morgen kein festes Programm zu haben. Aber es ist auch sehr streng.

Sie haben für die grösste mobile Notfallpraxis auf die Schnelle 70 ärztliche und 200 pflegerische Fachpersonen anstellen können. Jedes Spital wäre neidisch. Wie haben Sie das geschafft?

Mit Beziehungen und Mund-zu-Mund-Propaganda. Ich mache ab und zu Fortbildungsvorträge und konnte Werbung machen. Viele haben sich aber auch selber gemeldet, zum Beispiel etliche Ex-Pfader. Wir hatten absolut kein Problem, genug Leute zu finden. Ich muss gestehen, das hätte ich nicht gedacht.

Fehlen diese Fachleute nun in den Spitälern?

Ich nehme es nicht an, denn sie kommen ja alle in ihrer Ferienzeit.

Und was verdienen sie?

Niemand verdient etwas, alle arbeiten ehrenamtlich.

Sie auch?

Ja, ausnahmslos alle.

Was ist mit den Patienten?

Diese rechnen wir normal über die Krankenkasse ab. Und zwar wegen der vielen Unkosten.

Unkosten?

Hier im Zelt ist es bis zu 30 Grad warm. Was wir hier gelagert haben, können wir nicht weiterverwenden. Wir haben zum Glück auch noch viele kleine Sponsoren, die uns zum Beispiel noch einen Sterilisator oder ein Ultraschall-Gerät gratis zur Verfügung stellen.

Der Notfallarzt der grossen Veranstaltungen

Gäbe es einen FMH-Titel für Veranstaltungsärzte, hätte ihn der 54-jährige Raphael Stolz: Er war unter anderem der Leitende Notarzt an der Flugschau «Air 14» in Payerne und während drei Jahren der Leitende Notarzt Front am WEF in Davos. Ausserdem ist er seit 18 Jahren der ärztliche Leiter des Sanitätsdienstes am Open-Air-Festival St. Gallen.

Optimo ist sein neuer Pfadiname

Ein Pfadi-Bundeslager leitet er zum ersten Mal. Mittlerweile haben ihn die Pfadis sogar getauft. Er heisst Optimo - weil er immer versuche, aus jeder Situation das Beste zu machen und immer so optimistisch sei.

Seit acht Jahren in der Gemeinschaftspraxis

Raphael Stolz arbeitete von 2006 bis 2014 am Kantonsspital St. Gallen in der Intensivstation und der Notfallaufnahme. Seit 2014 betreibt er in St. Gallen die «Praxis Zur Rehburg», eine Gemeinschaftspraxis für Allgemeine Innere und Notfallmedizin.Raphael Stolz ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Er lebt mit seiner Familie in Waldkirch.
image
Mitten im Pfadilager steht das grosse Zelt mit der Notfall-Praxis (Pfeil). | Mova, Bearbeitung: em
image
Für zwei Wochen der Arbeitsplatz von Raphael Stolz: Ein «Bretterwand-Büro» im Notfall-Zelt. | em
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Bern: Physiotherapie gehört in die integrierte Versorgung

Das Berner Kantonsparlament spricht sich klar für eine Stärkung der Physiotherapie aus: Sie soll in die Notfallstationen integriert werden – und mehr Kompetenzen bekommen. Der Regierungsrat muss dies nun angehen.

image

So will ein Landwirt die Tarifpartner entmachten

Die Hausärzte und Hausärztinnen sollen per Gesetzesänderung besser gestellt werden, verlangt eine Motion: Die Tarifpartner seien dazu nicht in der Lage.

image

Innovative Kinderradiologie am Kantonsspital Baden

Das Kantonsspital Baden setzt in seinem Neubau neue Massstäbe in der patientenfreundlichen Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Die Kinderradiologie bietet ein breites Spektrum an diagnostischen und therapeutischen Leistungen und arbeitet eng mit anderen Fachbereichen zusammen.

image

Nachhaltig: Bacillol® 30 Sensitive Green Tissues

HARTMANN erweitert sein Portfolio um die nachhaltigen Bacillol® 30 Sensitive Green Tissues. Die Tücher werden aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt und vereinen hohe Wirksamkeit, Materialverträglichkeit und Hautfreundlichkeit. Dabei werden Plastikabfall sowie CO₂-Emissionen reduziert.

image
Gastbeitrag von Esther Wiesendanger

Da sind steigende Gesundheitskosten ja nur logisch

Getrennte Apotheken in Gruppenpraxen, Impfverbote in der Pflege, teure Zusatzkontrollen: Groteske Behörden- und Kassenentscheide lähmen die Versorgung. Sind wir Ärzte eigentlich Komiker?

image

Deshalb sind Ärzte vor Bundesgericht so erfolgreich

Schon wieder sind die Krankenkassen mit Rückforderungen bei Ärzten vor Bundesgericht abgeblitzt. Das höchste Gericht stützt neu die Ärzte besser.

Vom gleichen Autor

image

«Das Inselspital ist noch lange nicht über den Berg»

Das Inselspital wartete mit guten Meldungen auf. Doch der Insel-Kritiker Heinz Locher gibt keine Entwarnung.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.

image

«Hausarzt ist kein Beruf, den man subventionieren muss»

Ein Arzt macht vor, wie eine Berggemeinde zu medizinischer Versorgung kommt. Und er kritisiert Kollegen, die einfach ihre Praxis schliessen.