Die diskreten Firmenexperten von Swissmedic

Die Heilmittelbehörde bewilligte ein Mittel, an das sie selber kaum glaubt. Wer Genaueres wissen wollte, wurde abgeblockt.

, 10. Januar 2018 um 06:30
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Der Kampf war lang, jetzt ist das Ergebnis einsehbar: Der Journalist Urs P. Gasche konnte auf dem Portal «Infosperber» verraten, welche Firmenexperten daran beteiligt waren, dass das Krebsmittel Folotyn die Schweizer Zulassung erhielt.
Folotyn hatte 2013 die Swissmedic-Bewilligung bekommen zur Behandlung von Patienten, die an einem T-Zell-Lymphom leiden und bei denen Chemotherapie und Bestrahlung keine Wirkung mehr zeigen. Swissmedic hatte bei der Veröffentlichung allerdings selber geschrieben: «Ein Nutzen im progressionsfreien Überleben oder Gesamtüberleben ist nicht belegt.» Acht Infusionen des Mittels kosten über 70'000 Franken.
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«Nutzen nicht belegt»: Aus der Mitteilung von Swissmedic zur Folotyn-Bewilligung
Mit WZW-Kriterien lässt sich der Entscheid also kaum begründen, zumal diverse Nebenwirkungen festgestellt wurden: Myelosuppression, exfoliative Dermatitis, toxische epidermale Nekrolyse, Tumorlyse-Syndrom… Die europäische Zulassungsbehörde EMA hatte die Zulassung des Mittels im Vorjahr abgelehnt.
Urs P. Gasche wollte nun von Swissmedic wissen, welche Firmenexperten für diese Zulassung beigezogen worden waren; doch die Heilmittelbehörde in Bern verwies auf Persönlichkeitsrechte und weigerte sich, die Namen zu nennen. Die Informationen, die Swissmedic zum Fall herausgab, stellten jedoch klar, dass die Vertreiberfirma Mundipharma – nach der Erstzulassung durch die FDA – in der Schweiz keine weiteren Studien eingereicht hatte.
Was folgte, war ein langer Streit durch diverse Instanzen – Datenschützer, Bundesverwaltungsgericht, Bundesgericht. Wobei die obersten Richter am Ende klarstellten, dass es ein Interesse der Öffentlichkeit an der geforderten Transparenz gebe.
Nun also hat Gasche beziehungsweise die News-Plattform «Infosperber» die Namen der Firmenexperten im Folotyn-Entscheid erhalten. Es waren dies:

  • Steven M. Fruchtman. Der New Yorker Arzt arbeitete im fraglichen Zeitraum als Senior Vice President of Hematology and Oncology beim Pharmakonzern Spectrum, dem die Rechte an Folotyn gehören.
  • Gijsbertus J. Pronk. Ebenfalls Arzt, Forschungsdirektor von Allos Therapeutics in Colorado, welche ursprünglich Folotyn entwickelte (und dann an Spectrum verkauft wurde).
  • Bruce K. Bennett: Der Ökonom und arbeitete von 2008 bis 2012 als Senior Vice President Pharmaceutical Operations für Allos Therapeutics.

Laut Einschätzung des Bundesgerichts wie von Swissmedic bilden die Berichte der Firmenexperten «einen wichtigen Bestandteil der Gesuchsunterlagen für die Zulassung …, weil sie alle wesentlichen Daten zusammenfassen und insbesondere eine sachliche und kritische Bewertung der Wirksamkeit, der Sicherheit und des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Präparats enthalten. Sie dienen Swissmedic als Grundlage für die Prüfung des Begehrens und für die Entscheidfindung über die Zulassung des Medikaments.»

Verdächtige Blockade

Wozu Gasche kommentiert, dass kaum zu erwarten sei, dass die genannten drei Exponenten der Folotyn-Vertreiberin Allos Therapeutics «alle Daten ausgewogen aufzeigen, die für die Bewertung von Folotyn sachdienlich sind.»
Jedenfalls: Dass Swissmedic die unter Persönlichkeits-Rechten wirklich harmlose Nennung der Experten durch alle gerichtlichen Instanzen bekämpfte – dies wirkt nun in der Tat verdächtig.
«Die Schweizer Medikamenten-Behörde schützt zuerst die Interessen der Pharmafirmen, von denen sie bezahlt wird und an deren Umsätzen sie mit "Verkaufsabgaben" beteiligt ist», so das Fazit von Gasche. Immerhin habe Swissmedix mit Folotyn ein Medikament bewilligt, dessen Nutzen auch fünf Jahre nach der Zulassung nicht erwiesen ist.
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