Darum gibt es in der Schweiz auch 90-jährige Ärzte

Ärzte sind nie zu alt zum Arztsein: In der Schweiz gibt es sogar 13 Berufstätige, die über 90 Jahre alt sind. Das ist ein neues Phänomen - und meistens kein Problem.

, 29. Juni 2022 um 13:00
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Die Schweizer Ärztestatistik zeigt Erstaunliches: Von den knapp 40’000 berufstätigen Ärztinnen und Ärzten hierzulande waren letztes Jahr rund 4800 – also immerhin 12 Prozent – bereits über dem Rentenalter. Und zwar nicht nur knapp darüber. Fast 900 Berufstätige sind bereits über 75-jährig. Und die Ärzteverbindung FMH hat sogar 13 Ärzte registriert, die über 90-jährig und immer noch tätig sind.
Das Phänomen ist neu: Zehn Jahre zuvor gab es überhaupt keine Ärzte, die mit über 85 Jahren noch arbeiteten. Und weniger als 2000 berufstätige Ärztinnen und Ärzte waren damals über 65 Jahre alt.
In öffentlichen Spitäler werden Ärzte zwar in der Regel zwischen 65 und 67 Jahren pensioniert. Es gibt aber etliche Ärzte und Ärztinnen, die in eine Privatpraxis wechseln. So sind sie keiner Alterslimite unterstellt.
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So sieht die Alterstruktur der Ärztinnen und Ärzte aus, die in der Schweiz berufstätig sind. | Quelle: FMH

Alterslimiten finden keinen Anklang

Angesichts der Entwicklung hin zu immer älteren Berufsleuten stellt sich die Frage: Sind Ärzte und Ärztinnen nie zu alt zum Arbeiten? Offenbar nicht. Generelle Alterslimiten für Ärzte fanden und finden in der Schweiz keine Mehrheit.
So ist etwa die damalige Patientenschützerin und grünliberale Nationalrätin Margrit Kessler vor sieben Jahren mit einem Vorstoss für eine Alterslimite gescheitert. Sie schlug vor, Chirurgen und invasiv tätige Ärzte mit besonders heiklen Fachgebieten ab 60 Jahren einer Gesundheitsprüfung zu unterziehen.

Zürich ist eine Ausnahme

Das Anliegen hatte keine Chance. Auch weitere Bestrebungen, eine Altersgrenze für Ärzte einzuführen, fielen durch. Im Kanton Zürich gilt zwar, dass Ärzte nach Erreichen des 70. Altersjahres ihre Berufsausübungsbewilligung grundsätzlich alle drei Jahre erneuern müssen, wenn Sie ihre Praxis weiterführen möchten.
Doch so ein Modell kam beispielsweise in der Aargauer Politik und beim Aargauischen Ärzteverband vor zwei Jahren gar nicht gut an. Der Arzt und BDP-Grossrat Marcel Bruggisser hielt damals entgegen, dass Hausarzt ein typischer Erfahrungsberuf sei und auch im fortgeschrittenen Alter noch sicher ausgeübt werden könne.

Risiko für Fehler sinkt im Alter

Tatsächlich kann das Risiko, einen Fehler zu begehen, im Alter sogar sinken. Das Wissen und Selbstvertrauen von älteren Ärztinnen und Ärzten lässt oftmals auch deren Diagnosen genauer werden.
Auf der anderen Seite können Chirurgen ihre Koordinationsfähigkeit, Kraft und Sehschärfe bei schwierigen Operationen im Alter zunehmend verlieren. Auch das Arbeitsgedächtnis wird schlechter. Das heisst, dass auch Ärzte nicht vor dem Altern gefeit sind.

Alte Menschen sind unterschiedlich junggeblieben

Nur: Wann sind Ärzte zu alt zum Arbeiten? Gibt es überhaupt ein «Zu-alt»? Altersmediziner – darunter notabene auch junge – sind klar der Meinung, dass sich keine Altersgrenze für Ärzte definieren lässt. Denn wie gesund alte Menschen sind, ist sehr unterschiedlich – viel unterschiedlicher als bei jungen Menschen.
Es gibt durchaus alte Ärzte, die problemlos Studenten unterrichten, einen 10-km-Lauf absolvieren oder komplizierte Operationen durchführen können. Andere haben bereits Schwierigkeiten, sich anzuziehen, eine Treppe hochzusteigen oder sich an ihre letzte Mahlzeit zu erinnern. Das funktionelle Alter hat also nichts mit dem chronologischen Alter zu tun.

Tests für alte Ärzte sind diskriminierend

Eine fixe Altersgrenze für Ärzte ist deshalb sinnlos. Also wird ab und zu die Forderung nach Prüfungen für ältere Ärzte laut. Doch obligatorische Alterstests für Ärzte finden die meisten Betroffenen diskriminierend. Zu Recht.
Denn während ihrer Karriere müssen Ärzte ihre beruflichen Fähigkeiten ohnehin immer wieder unter Beweis stellen, daran ändert auch ein bestimmtes Alter nicht. Wenn schon müssten alle Berufstätigen getestet werden, also auch junge Ärzte und Ärztinnen. Denn jeder Arzt sollte kognitiv in der Lage sein, auch unter schwierigen Umständen rasche Entscheidungen zu treffen.

Wann ist es Zeit, aufzuhören?

Bisher verliess man sich in der Schweiz bei der Frage nach dem endgültigen Ruhestand für Mediziner auf den gesunden Menschenverstand. Die meisten Ärzte, oder zumindest deren Umfeld, merken, wenn es nicht mehr geht oder nicht mehr sinnvoll ist, weiterzuarbeiten.
Defizite fallen schnell auf: Etwa Hygienemängel, Erinnerungslücken, Orientierungsstörungen oder unbeabsichtigtes Einnicken. Wichtig ist, dass Betroffene auf solche Einbussen aufmerksam gemacht werden. Werden solche Fehler gutmeinend «übersehen», könnte das zu gefährlichen Situationen führen.

Patienten entscheiden selber

In der Schweiz dürfte es allerdings selten so weit kommen. Es herrscht die freie Arztwahl. Patienten würden sich also kaum für einen senilen Hausarzt entscheiden. Handkehrum gibt es gute Gründe, dass Ärzte und Ärztinnen weiterarbeiten: Viele erfreuen sich blendender Gesundheit und sind so fit, dass sie genug Energie und Lust haben, eine Praxis zu führen.
Andere, die sich eigentlich pensionieren lassen wollen, werden dringend gebeten, noch weiterzuarbeiten, weil sonst schlicht eine Hausarztpraxis im Ort fehlen würde oder eine Stelle im Spital nicht mehr besetzt werden könnte.

USA hat mehr, Deutschland weniger alte Ärzte

Die Schweiz ist mit ihrem hohen Anteil an älteren Ärzten keine Ausnahme. In den USA haben sogar etwa 30 Prozent der Ärzte das normale Rentenalter bereits überschritten. Das Vertrauen in die älteren Mediziner ist dort gross.
In Deutschland hingegen ist der Anteil der Ärzte jenseits des Pensionsalters geringer als in der Schweiz: Nur 8,5 Prozent haben dort das 65. Lebensjahr überschritten.
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