Christoph Mörgeli setzt sich für die Praxis-Ärzte ein

Der Medizinhistoriker und Ex-Nationalrat seziert den Tarmed-Eingriff des Bundesrates.

, 11. Mai 2017 um 07:00
image
  • praxis
  • tarmed
  • politik
Er ist immerhin der bekannteste Medizinhistoriker im Land; und inzwischen ist Christoph Mörgeli hauptsächlich als Autor für «Die Weltwoche» tätig. Dort widmet sich der Ex-Nationalrat jetzt dem Tarmed-Eingriff des Bundesrates – mit sehr kritischem Blick: «Die Folgen für die freie Ärzteschaft und damit auch für die Patientinnen und Patienten sind dramatisch: Der vorgesehene Tarifeingriff führt in den einzelnen Praxen zu Umsatzeinbussen von bis zu einem Drittel», rechnet Mörgeli vor.
Unter dem Titel «Freie Ärzte im freien Fall» (für Abonnenten) prophezeiht Mörgeli einen Kahlschlag bei den Arztpraxen – Versorgungsengpässe inklusive: «Es drohen hierzulande Zustände wie in Deutschland, wo Kassenpatienten nur noch schwer und mit grosser Zeitverzögerung einen Sprechstundentermin erhalten und deshalb die Ärztinnen und Ärzte mit Geschenken, wenn nicht mit direkten finanziellen Zuwendungen bei Laune halten müssen».

Zwang zur Risikoselektion

Gewiss seien einzelne Tarifanpassungen zweckmässig – etwa Senkungen beim Grauen Star oder gewissen gastroenterologischen Untersuchungen. Doch insgesamt sichtet der Medizinhistoriker vor allem vier Aspekte, wo das von SP-Bundesrat Alain Berset verantwortete Tarmed-Paket fatale Folgen haben dürfte:

  • Abschaffung der Notfallpauschale: Damit seien in den Städten die Permanencen und «Walk-in»-Praxen gefährdet. Und auf dem Land dürfte die bisherige Notfallversorgung zusammenbrechen, da «sich der Dorfarzt künftig ausserstande sehen könnte, solche Notfallpatienten zu behandeln».
  • Zeitliche Beschränkungen: Das neue Tarifsystem setze faktisch eine Obergrenze der einzelnen Konsultationen bei 20 Minuten. Dies sei etwa bei vielen Patienten rasch erreicht. «Wie werden die Praxen auf den Druck des neuen Tarifsystems reagieren?», so nun die Frage für Mörgeli. Seine Antwort: «Sie sind gezwungen, eine Risikoselektion vorzunehmen und ältere sowie chronisch kranke Patienten einfach an die Kliniken abzuschieben.
  • Reduktion der in Abwesenheit der Patienten erbrachten Leistungen, Streichung der «Arztzeit». Dazu erwartet Mörgeli, dass die Patienten deswegen künftig vermehrt neu aufgeboten werden müssen, was wiederum Zusatzkosten erzeugt.
  • Senkung der Abgeltungen für chirurgische Leistungen im ambulanten Bereich, insbesondere für die Wechselzeit. Dies dürfte insbesondere in der Kinderchirurgie und im HNO-Bereich dazu führen, dass weniger oft ambulant operiert wird – womit die Sache am Ende wieder teurer wird.

Was tun? Konkretere Vorschläge liefert der SVP-Politiker zwar nicht, aber die Befürchtung ist klar: «Die Einschnitte in die Tarifstruktur treffen die Medizin dort, wo sie am effizientesten und schlanksten ausgeübt wird: in der niedergelassenen Praxis».

Warnung vor der Staatsmedizin

Mörgeli spricht von dirigistischen Eingriffen, die ein bereits angeschlagenes System destabilisieren: «Sie stehen quer zur harmonischen Findung einer besseren Tarifordnung, die gemeinsam mit allen Beteiligten erarbeitet werden sollte.»
Der Text ist, kurz gesagt, eine Warnung vor einem Trend zur Staatsmedizin: «Im Kanton Zürich arbeiten heute bereits mehr Ärzte in den Spitälern als in der freien Praxis», so Mörgeli. «Der Arzt als freiberuflich tätiger Mitbürger mit freiheitlicher Gesinnung und einem hohen Mass an Selbstverantwortung wird durch gezielte Tarifsenkungen zum Auslaufmodell.»
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Und wie schliessen wir dann das EPD an unser KIS an?

Fast 400 Millionen Franken nimmt der Bund in die Hand, um das Gesundheitswesen zu digitalisieren. Zugleich nimmt er die Software-Anbieter und Spitäler in die Pflicht.

image

Gefragter Aarauer Frauenarzt macht sich selbständig

25 Jahre lang war Dimitri Sarlos an der Frauenklinik des Kantonsspitals Aarau angestellt. Im Oktober eröffnet der Chefarzt eine eigene Praxis.

image

Krebsmedikamente haben Gewinnmarge von 85 Prozent

Ein altes Anliegen ist erneut im Parlament: die horrenden Kosten für Krebsmedikamente.

image

«Wenn Notfall-Praxen schliessen, wird es doppelt so teuer»

Ein Ex-Spitaldirektor warnt: Wenn die Kassen Notfall-Praxen keine Dringlichkeitspauschale mehr vergüten, wird es für alle sehr teuer.

image

Freie Praxisflächen an bester Lage in Oensingen

Im Glasgebäude in Oensingen, das direkt an der Autobahn A1 liegt, steht gesamthaft eine Fläche von 2'346 Quadratmeter zur Verfügung. Sie eignet sich für vielfältige Nutzungen vor allem im Medizin- und Gesundheitsbereich: Zum Beispiel für Facharztpraxen, Fitnesscenter, Physiotherapie etc.

image

Corona: Kein Ausfall-Geld für die Spitäler

Der Bund will sich nicht an den pandemiebedingten Ertragseinbussen der Spitäler beteiligen.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.