Alte Menschen, die zuhause leben, müssen mehr ins Spital

Wenn alte Menschen möglichst lange zuhause leben, spart das nicht unbedingt Ausgaben im Gesundheitswesen. Denn sie müssen mehr ins Spital.

, 10. März 2021 um 09:38
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Die Politik, alten Menschen möglichst lange ein Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen, ist bisher wenig hinterfragt worden. Zweifellos erfüllt sie den Wunsch vieler Betagter, möglichst lange zuhause zu leben. Doch, ob diese Politik das Gesundheitswesen auch weniger kostet, wie man im ersten Moment annimmt, ist unsicher.

Sicherer im Altersheim

Eine neue Studie des schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) zeigt jedenfalls, dass die Betreuung im Alters- und Pflegeheim nicht in jedem Fall teurer sein muss. Denn: Die Heime sorgen für ein sicheres Umfeld und verhindern, dass alte Menschen häufiger ins Spital und in die Rehabilitation müssen.
Auffällig ist: Besonders in jenen Kantonen, die den Verbleib der Betagten zuhause fördern – wie Waadt, Wallis, Freiburg, Neuenburg, Jura, Tessin und Baselland – beziehen alte Menschen nicht nur mehr Spitex-Leistungen; sie müssen am Ende ihres Lebens auch häufiger ins Spital.

Vor allem mehr Rehabilitation

In Zahlen ausgedrückt heisst das: Dort, wo alte Menschen länger zuhause leben, mussten 30 bis 40 Prozent der Verstorbenen in ihrem letzten Lebensjahr mehr als einmal in Spital. In den Deutschschweizer Kantonen hingegen – sie setzen mehr als die Westschweizer auf die Betreuung in Alters- und Pflegeheimen – liegt der Anteil jener, die mehrmals ins Spital mussten, bei weniger als 20 Prozent.
Am häufigsten waren die Betagten, die zuhause wohnten, in einer Rehabilitationsklinik. Was nicht erstaunt: Denn solche Aufenthalte zielen darauf ab, die Fähigkeiten, die für das Wohnen im eigenen Heim nötig sind, wieder zu erlangen.

Ein oder zwei Spitalaufenthalte mehr

Alte Menschen, die noch zuhause wohnen, müssen mit durchschnittlich ein oder zwei zusätzlichen Spitaleintritten samt Rehabilitationsaufenthalten rechnen, damit sie nach Hause zurückkehren können.
Wann ist nun – angesichts dieser Studienresultate – der beste Zeitpunkt, in ein Alters- und Pflegeheim einzutreten? «Das hängt von vielen Faktoren ab», sagt Christophe Graf, Leiter der Abteilung für Rehabilitation und Geriatrie des Universitätsspitals Genf. «Insbesondere von der Einstellung der Person, ihrer funktionalen Fähigkeit, zuhause leben zu können, und vom Zugang zu formeller und informeller Unterstützung.

Entscheidende Frage nicht abschliessend beantwortbar

Je nach Kanton ist die Finanzierung von Heimen, Spitälern und Spitex-Angeboten verschieden. Deshalb kann die Obsan-Studie auch nicht die entscheidende Frage beantworten, welches Alterswohnmodell für das Gesundheitswesen günstiger abschneidet: «Es lässt sich nicht abschliessend klären, welche Betreuungsform unter dem Strich effizienter ist», sagt Christophe Graf.
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