Die ehemalige Insel-Oberärztin Natalie Urwyler hat vor Gericht ein zweites Mal recht erhalten. Nachdem bereits ihre Kündigung als missbräuchlich taxiert worden ist, stimmen ihr das Berner Regionalgericht nun auch bei einer zweiten Klage zu: Die Insel hat ihre Karriere geknickt.
Urwyler sei «hinsichtlich Beförderung geschlechterspezifisch diskriminiert worden», befand die Richterin; das Urteil des Regionalgerichts liegt der
«Tagesschau» des Fernsehens SRF vor. Ob das Inselspital das Urteil anfechten wird, ist derzeit unklar. Gegenüber SRF schrieb das Spital, es prüfe das Urteil und nehme keine Stellung.
«Karriere komplett geknickt»
«Ich wurde nicht gleich gefördert wie Männer», schildert Natalie Urwyler ihre Zeit am Inselspital. «Als mir dann als Mutter gekündigt wurde, hat das meine Karriere komplett geknickt.»
Die heute 50-jährige Urwyler strebte eine akademische Karriere im Gebiet der Anästhesiologie an. Doch nachdem die Ärztin der Klinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie selbst Mutter geworden war, untersagten ihr die Vorgesetzten die weiteren Tätigkeiten in Forschung und Lehre.
Es war eine «Rachekündigung»
Im Juni 2014, noch bevor sie nach dem Mutterschaftsurlaub wieder ins Berufsleben zurückwollte, kündete ihr das Inselspital – wegen angeblicher «Illoyalität».
Sie wehrte sich bereits damals vor Gericht, und
erhielt recht: 2018 hatte das Berner Obergericht die Kündigung harsch kritisiert und von einer «Rachekündigung» gesprochen. Das Gericht verpflichtete das Spital sogar, Urwyler wieder einzustellen. Das tat das Spital, stellte Urwyler aber sogleich wieder frei. Heute ist sie Leitende Ärztin an der Abteilung für Anästhesie und Reanimation im Spital Sitten.
Während Nachtschicht Fehlgeburt
Natalie Urwyler setzte sich an der Insel für Frauenrechte ein. Sie wehrte sich gegen Diskriminierung und kritisierte, dass Schwangere am Inselspital nicht geschützt wurden. Werdende Mütter mussten bis zu 80 statt der vorgeschriebenen 45 Stunden pro Woche arbeiten.
Sie selbst erlitt 2012 während einer Nachtschicht eine Fehlgeburt. 2013 bekam sie eine Tochter. Ihr Gesuch um eine Reduktion ihres Pensums auf 80 Prozent lehnte die Insel damals ab, gleichzeitig wurden ihr die Forschungsgelder gestrichen.
Fünf Millionen Schadenersatz
Natalie Urwyler
verlangte 2020 von der Insel knapp fünf Millionen Franken. Das sei jener Betrag, der ihr entgehe, weil ihr 2014 missbräuchlich gekündet worden sei. Es sei die Differenz zwischen dem Lebenseinkommen, das sie - als bereits habilitierte Medizinerin - erzielt hätte, wenn sie Chefärztin und Professorin geworden wäre und dem Betrag, den sie in ihrer ausgebremsten Karriere erzielen könne.