Wir verschreiben Globuli, glauben aber nicht dran

Fast ein Viertel der Ärzte setzen gelegentlich auf homöopathische Mittel – oft mit eigenartigen Erklärungen. Eine Zürcher Studie bringt interessante Widersprüchlichkeiten ans Licht.

, 20. November 2017 um 07:07
image
  • praxis
  • homöopathie
  • forschung
Warum verschreiben Schweizer Ärzte Globuli? Und welche tun das? Immerhin steht die Homöopathie im Gegensatz zu Kern-Einstellungen der modernen Ärzteschaft, oder anders: Die Heilkraft dieser Heilmittel lässt sich gar nicht wissenschaftlich belegen.
Die Haltung der Schweizer Mediziner testete nun ein Team des Instituts für Hausarztmedizin der Uni Zürich, geleitet von Stefan Markun. Die Forscher schrieben alle 4'072 ambulant tätigen Ärzte im Kanton Zürich an und präsentierten einen Fragebogen zum Verschreibungsverhalten. 1'550 Mediziner gaben Antwort. Und siehe da: Rund ein Viertel gab an, in den Vormonaten schon homöopathische Mittel verschrieben zu haben (23 Prozent).  


Dabei neigten Allgemeinmediziner, Gynäkologen und Kinderärzte am stärksten dazu, auch mal Globuli zu empfehlen.
Bemerkenswert sind nun die Begründungen: Nur die Hälfte der besagten «Globuli-Verschreiber» wollte damit die in der homöopathischen Lehre besagten Wirkungen erzielen. Nur 27 Prozent folgten den Verschreibungs-Regeln der Homöopathie. Und: Nach eigenen Angaben glaubten nur 23 Prozent, dass es ein wissenschaftliche Erklärung für die Wirkungen der Homöopathie gibt. 
Das heisst umgekehrt: Von den Zürcher Ärzten, die Globuli verschreiben, glauben die wenigsten selber an die Lehre, die dahinter steht. Dies bestätigten auch weitere Aussagen: Mit Abstand am meisten der Gruppe der «Globuli-Verschreiber» gaben an, dass die Alternativ-Arzneien gewisse Placebo-Effekte bewirken könnten.
Die Umfrage in 6 Punkten

  • 1'547 antwortende Ärzte, ambulant tätig im Kanton Zürich
  • 23 Prozent setzten mindestens einmal pro Jahr auf homöopathische Mittel
  • Von diesen Ärzten taten dies 50 Prozent, um konkret die von der Homöopathie angestrebten Wirkungen zu erzielen.
  • 35 Prozent der «Globuli-Verschreiber» sagten derweil aus, dass laut ihrer Ansicht Homöopathie ausschliesslich einen Placebo-Effekt habe.
  • 23 Prozent der «Globuli-Verschreiber» glaubten an die Lehren der Homöopathie.
  • 73 Prozent aller im Kanton Zürich befragten Ärzte waren der Ansicht, dass Globuli einen Placebo-Effekt haben könnten.

Das US-Wissenschaftsportal «Ars Technica» sichtete in der Studie einen sehr kritischen Punkt: Letztlich besagen die Daten von Markun et al., dass viele Schweizer Ärzte etwas empfehlen, dem sie selber nicht vertrauen. «What’s worse? Doctors who believe homeopathy or just use it for placebo effect», so der Titel eines Kommentars dazu. Der Untertitel: «Neue Daten deuten an, dass einige Doktoren einen Refresher in den Grundlagen der Wissenschaft benötigen – andere in Ethik.»

Placebo mit Verfassungsschutz

Allerdings übersahen die amerikanischen Beobachter einen entscheidenden Punkt: In der Schweiz sind Globuli quasi direktdemokratisch legitimiert. Denn bekanntlich sprachen sich im Mai 2009 in einer Volksabstimmung 67 Prozent der Stimmbürger dafür aus, dass fünf Methoden der Komplementärmedizin von den Krankenkassen finanziert werden – Homöopathie inklusive.
Und so kann ein Schweizer Arzt die Globuli als Placebo auf Krankenkasse definieren – ja, sogar als Placebo mit Verfassungsschutz. Die momentan in diversen Ländern – wie den USA oder Australien – derzeit Bestrebungen, Homöopathie auf der Ebene der ärztlichen Ethik oder konkret auch des Konsumentenschutzes zu bekämpfen, dürften also hierzulande ins Leere laufen.

Ärzte gegen Krankenkassen-Globuli

Die Mediziner selber sahen es jedenfalls mehrheitlich anders: In der Erhebung des Instituts für Hausarztmedizin sprachen sich 61 Prozent der befragten Zürcher Ärzte dagegen aus, dass homöopathische Mittel von der Grundversicherung bezahlt werden müssen.
«Die Ergebnisse spiegeln wahrscheinlich eine gewisse Offenheit der meisten Ärzte, Homöopathie als Placebo-Intervention zu akzeptieren», folgern die Autoren. «Die zeigt aber auch, dass spezifische und praktikable ethische Richtlinien vonnöten sind, welche den Ärzten helfen. Denn diese riskieren, von den Patienten als betrügerisch empfunden zu werden.»
.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

«Eine frühzeitige Blutverdünnung nach einem Schlaganfall ist sicher und wirksam»

Im Interview erklärt Neurologe Urs Fischer, Chefarzt am Inselspital Bern, was die Ergebnisse der CATALYST-Studie für die klinische Praxis bedeuten – und warum alte Leitlinien überdacht werden sollten.

image

Das Ludwig-Institut bleibt in Lausanne

Zehn Jahre nach der Gründung der Partnerschaft mit dem CHUV und der Uni Lausanne wird das Ludwig-Institut in die Universität integriert. Es soll mehr über Immuntherapie und Tumor-Mikroumgebung geforscht werden.

image

«Wir erreichen heute Areale, die früher unzugänglich waren»

Thomas Gaisl vom USZ über Präzisionsgewinne, Patientennutzen und technische Grenzen der robotisch-assistierten Bronchoskopie – das Interview.

image

Internationale Anerkennung für Schweizer Lungenkrebs-Forscherin

Solange Peters, Leiterin der medizinischen Onkologie am CHUV, erhält den Paul A. Bunn, Jr. Scientific Award, eine der höchsten internationalen Auszeichnungen für Lungenkrebsforschung.

image

Sind medizinische Studien unfair?

Studiendesigns sollen fairer und realistischer gestaltet werden. Das fordern Forschende des Universitätsspitals Basel – und schlagen ein neues Konzept vor.

image

Fortsetzung bis 2028: Nationale Plattform geht in die nächste Runde

Nach einer erfolgreichen Pilotphase wird die nationale Koordinationsplattform Klinische Forschung (CPCR) bis 2028 fortgeführt.

Vom gleichen Autor

image

Spital heilt, Oper glänzt – und beide kosten

Wir vergleichen das Kispi Zürich mit dem Opernhaus Zürich. Geht das? Durchaus. Denn beide haben dieselbe Aufgabe: zu funktionieren, wo Wirtschaftlichkeit an Grenzen stösst.

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.