Mehr Schaden als Nutzen? Die Rolle der COVID-19 Task Force des Bundesrates

Die beratende Swiss National COVID-19 Science Task Force des Bundesrates und deren Mitglieder, an deren wissenschaftlicher Qualifikation keinerlei Zweifel besteht, interpretieren ihre Rolle eigenwillig und haben einen Kommunikationsstil entwickelt, der zu erheblichen Schäden führen kann.

, 18. November 2020 um 06:00
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Im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie herrscht Kommunikationsanarchie, jeder kommuniziert was er will und wann er will. Leidtragender dieses von der Boulevardpresse befeuerten Zustandes (Klicks = Umsatz) ist eine verunsicherte Bevölkerung. Und diese Verunsicherung hat negativen Einfluss auf die Umsetzung der angeordneten Massnahmen, weil Glaube und Vertrauen in die staatlichen Massahmen in diesem kommunikativen Durcheinander schwinden.
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    Andreas Faller

    Rechtsanwalt und Berater im Gesundheitswesen.

    Andreas Faller (1966) ist Rechtsanwalt, Berater im Gesundheitswesen und Geschäftsführer von drei nationalen Verbänden im Gesundheitswesen. Er ist ferner in drei Verwaltungsräten von Unternehmen im Gesundheitswesen. Andreas Faller arbeitete unter anderem beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) als Vizedirektor und Leiter des Direktionsbereiches Kranken- und Unfallversicherung sowie beim Gesundheitsdepartement Basel-Stadt als Generalsekretär sowie als Leiter Gesundheitsdienste.

Mittendrin in diesem kommunikativen Durcheinander steht die beratende Swiss National COVID-19 Science Task Force des Bundesrates.
Eines vorweg: Es geht nicht darum, die hohe fachliche Qualifikation der Mitglieder der COVID-19 Task Force des Bundes in Frage zu stellen, diese ist unbestritten. Es geht um das «Wie», das Vorgehen und den Kommunikationsstil. Denn das Vertrauen in die Wissenschaft leidet und das müsste nicht sein.
Was heisst «beratend»?
Vielleicht kann man den Begriff «beratend» verschieden interpretieren, aber fest steht: Diese Task Force kommuniziert selbständig am Bundesrat vorbei, sie kritisiert den Bundesrat öffentlich und stellt immer wieder neue Forderungen auf, deren Zusammenhang und Grundlagen der Normalsterbliche oftmals nur schwer nachvollziehen kann. Ausserdem kommunizieren einzelne Mitglieder der Task Force gegen den Bundesrat, die Kantone und teilweise auch gegen die Empfehlungen der Task Force selber.
Ausserdem schafft die Task Force zu wenig Transparenz über ihre Arbeit: Auf welcher Evidenz basiert ihre Arbeit, welche Lösungsoptionen wurden in Betracht gezogen, wie wurden diese bewertet, wie wurden die Forderungen daraus abgeleitet und wie laufen die internen Prozesse ab? Man liest aber vor allem von Annahmen, Befürchtungen und Vermutungen.
Der Hirtenjunge und der Wolf
Nehmen wir das Beispiel der Überlastung der Intensivstationen, die von der Task Force bereits mehrfach prophezeit wurde, aber bis jetzt nicht eingetreten ist. Und falls es dann wirklich soweit sein sollte? Wie ernst wird die entsprechende Kommunikation dann noch genommen? Da kommt einem die Fabel «Der Hirtenjunge und der Wolf» von Äsop in den Sinn – lesenswert.
Am 15. November 2020 titelte die Sonntagszeitung: «Die Experten des Bundes empfahlen gestern noch eine sofortige Schliessung der Restaurants. Doch plötzlich ist alles nicht mehr so gemeint.» Nach interner Kritik innerhalb der Taskforce relativiert der Taskforce-Chef die letzten Empfehlungen. Solche kommunikativen Pannen sind Gift in einer Krise vom Ausmass der COVID-19 Pandemie.
Zum Thema: Der Lockdown der Taskforce. Es wird Zeit, dass der Bundesrat die Covid-19-Gremium erweitert – oder durch eine weitere Taskforce ergänzt.
Was die Experten damit bewirken: Sie schwächen den Bundesrat, die politische Führung und sie verunsichern die Bevölkerung. Diese immer grösser werdende Verunsicherung ist ein Mitgrund, weshalb die Motivation in der Bevölkerung gegenüber den Massnahmen nachlässt. Daraus schliessen die Experten dann aber, dass der Appell an die Eigenverantwortung nicht funktioniert und die Massnahmen deshalb weiter verschärft werden müssen. Hinterfragen sich die Expertinnen und Experten denn nicht, was kakofonische Kommunikation und die Desavouierung der politischen Führung in einer Krise dieses Ausmasses auslöst?
«Task Force in den Lockdown» war kürzlich in einem Post zu lesen, der rasch Hunderte Likes hatte. Diese Aussage zeigt, dass das Vertrauen in die Task Force und in die wissenschaftliche Expertise bei der Bevölkerung massiv gelitten hat. Und diese Entwicklung hätte so nicht passieren müssen.
Wer reden will, kann gehen
Weshalb interveniert der Bundesrat nicht? Weshalb lässt er dieses Kommunikationswirrwarr zu und weshalb setzt er seine eigenen Grundsätze zur Krisenkommunikation nicht durch?
Dem durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) erteilten Mandat ist jedenfalls zu entnehmen, dass die Task Force ausschliesslich beratende Funktion hat und nur nach vorgängiger Rücksprache und in zeitlicher Abstimmung mit dem BAG kommuniziert (Mandat und Rahmenmandat, wobei nur drei von vier Seiten des Mandates publiziert wurden).
Fazit: Es besteht Verbesserungspotential. Die Rolle der Task Force als beratendes Gremium muss geklärt werden. Der Bundesrat müsste der Task Force klare Vorgaben betreffend Kommunikation machen.
Gesucht: Ein produktiver Zustand
Mitglieder der Task Force, die ihre beratende Funktion als Einschränkung der eigenen Meinungsäusserungsfreiheit empfinden, haben jederzeit die Freiheit, aus der Task Force auszutreten und ab dann nur noch in eigenem Namen zu kommunizieren. Und natürlich genügt es nicht, wenn im Rahmenmandat an die Task Force steht, dass die Mitglieder ausserhalb ihrer Zugehörigkeit zur Task Force selber kommunizieren dürfen, weil dann doch jedes Mal hinter dem entsprechenden Namen «Mitglied der COVID-19 Science Task Force des Bundesrates» steht. Man kann die Zugehörigkeit zu einem derart wichtigen Gremium kommunikativ und in der öffentlichen Wahrnehmung nicht von Aussagen als «private Person» trennen.
«Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen», sagte Max Frisch. 
Wenn allerdings schon die kommunikative Handhabung der Krise per se Züge einer Katastrophe trägt, dann wird es umso schwieriger, daraus einen produktiven Zustand herbeizuführen. Diesen produktiven Zustand brauchen wir aber dringend, um uns einerseits so rasch als möglich aus dieser Krise herauszubewegen und um andererseits die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, denn es wäre naiv, zu glauben, dass diese Pandemie die letzte ist, die uns trifft. 
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