Karies in 30 Sekunden stoppen – ein Tropfen genügt

Karies aufhalten und verhindern – ohne Spritze und ohne zu bohren. In den USA nutzen immer mehr Kinderzahnärzte die antimikrobielle Flüssigkeit Silberdiamin-Fluorid.

, 12. Juli 2016 um 10:24
image
  • zahnmedizin
  • zahnärzte
  • forschung
In Japan kommt Silberdiamin-Fluorid gegen Karies seit Jahrzehnten zum Einsatz. Jetzt aber auch vermehrt in den Vereinigten Staaten, wo die Flüssigkeit unter dem Markennamen Advantage-Arrest seit etwa einem Jahr von der Gesundheitsbehörde zugelassen ist.
Dort verwenden Zahnärzte das Mittel in Hunderten von Praxen, wie aus einem Bericht in der «New York Times» hervorgeht. Mindestens 18 universitäre Zahnärztezentren schulen ausserdem die nächste Generation bereits im Umgang mit Silberdiamin-Fluorid.

Besser, schneller und günstiger

«Das Grossartige daran ist, dass es ohne Bohrer und Spritze klappt», sagt Margherita Fontana der Zeitung. Sie ist Professorin für Kariologie an der Universität Michigan. Und es ist erst noch günstiger: Eine Behandlung mit der Flüssigkeit kostet rund 25 Dollar, während man für eine herkömmliche Karies-Therapie rund 150 Dollar bezahlen muss.
«Man braucht nur einen Tropfen für fünf Zähne, und es kostet ein paar Cent pro Zahn», erklärt Zahnmedizin-Professor Scott L. Tomar von der Universität Florida, der damit auch staatliche Medicaid-Patienten mit geringem Einkommen behandelt. Silberdiamin-Fluorid hat noch einen weiteren Vorteil gegenüber herkömmlichen Behandlungen: Es tötet laut Studien Bakterien, die Fäulnis verursachen.

Nicht nur für Kinder

«Silberdiamin-Fluorid reduziert das Auftreten neuer Karies und Progression der aktuellen Karies um etwa 80 Prozent», erklärt Richard Niederman, der Vorsitzende Epidemiologie und Gesundheitsförderung an der New York University College of Dentistry.
Silberdiamin-Fluorid kann nicht nur ein Zahnarzt-Trauma bei Kindern verhindern. Es könnte auch gebrechlichen Pflegeheimbewohner mit Karies helfen, denen der Gang zum Zahnarzt schwierig fällt, steht im Bericht.

Ein gewichtiger Nachteil

Trotzdem hat das Fluorid auch Nachteile: Es schwärzt den Zerfall auf den Zähnen. Für Backenzähne oder Milchzähne eher unproblematisch, doch die Aussicht auf dunkle sichtbare Flecken wirken für einige Patienten wohl abschreckend.
Weiter ist Silberdiamin-Fluorid auch bei Patienten mit schmerzhaften Entzündungen im Mund oder einer Silberallergie keine Wunderwaffe. Schwere Karies und grosse Löcher, wo sich Nahrungsmittelreste verstecken, erfordern nach wie vor Füllungen, heisst es weiter. 

Silberdiaminfluorid in der Schweiz

Laut Zahnmediziner Giorgio Menghini vom Zentrum für Zahnmedizin der Universität Zürich sind Produkte mit Silberdiaminfluorid in der Schweiz zur Zeit nicht erhältlich. Die Zahnmedizin verwende aber schon lange erfolgreich zwei Bestandteile davon: Silbernitrat und Fluoridlack. Damit sei man bei der Behandlung flexibler als mit Silberdiaminfluorid: im Seitenzahnbereich, wo die Ästhetik eine kleinere Rolle spielt (siehe oben), kann Silbernitrat appliziert werden, im Frontzahnbereich kommt das durchsichtig-gelbliche Fluoridlack zum Einsatz, wie der wissenschaftliche Mitarbeiter der Klinik für Präventivzahnmedizin, Parodontologie und Kariologie auf Anfrage von Medinside erklärt.
Silbernitrat war in der Schweiz die Standardbehandlung für das Milchgebiss in den 50er und 60er Jahren. «Damals war der Kariesbefall der Schuljugend so hoch, dass die noch spärliche Zahnärzteschaft mit der Füllungstherapie nicht mitgehalten hätte», erklärt Menghini. Das Aufkommen der «weissen» Füllungen habe Silbernitrat aus der Behandlungspalette weitgehend verdrängt. «Weiterhin sinnvoll ist Silbernitrat bei der Kariesbehandlung von Personen, bei welchen eine konventionelle Füllungstherapie eine zu grosse Belastung darstellt: bei Kleinkindern und bei Betagten.» Auch wenn die Finanzen eine entscheidende Rolle spiele, (z.B. im Asylwesen) sei die Verwendung von Silbernitrat eine gute Lösung.
«Die orale Gesundheit der Schweizer Bevölkerung hat sich seit den 60er Jahren wesentlich verbessert», so  Menghini weiter. Der Kariesbefall der Schuljugend habe in dieser Zeitspanne um 90 Prozent abgenommen. «Es ist deswegen anzunehmen, dass in der Schweiz einen flächendeckenden Einsatz von Silbernitrat oder, wenn zugelassen, von Silberdiaminfluorid nicht nötig sein wird.» Anders sei dies in den USA: Dort weisen ihm zufolge verschiedene Bevölkerungsgruppen (z.B. Afroamerikaner und Hispanics) weiterhin einen hohen Kariesbefall auf und die Verwendung von Silberdiaminfluorid auf breiter Basis sei gerechtfertigt.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Studie untermauert die heilende Wirkung der Spitalclowns

Bei Lungenentzündung führten sie in Kinderspitälern zu einer deutlich kürzeren Aufenthaltsdauer. Auch waren bestimmte Marker besser.

image

Leberkrebs: Ein weiterer Schritt zur vollständigen Remission?

Eine internationale Studie unter Genfer Leitung zeigt, dass ein genaues Intervall zwischen Immuntherapie und Lebertransplantation die Chancen auf eine vollständige Remission des hepatozellulären Karzinoms maximieren könnte.

image

Onkologie-Patente: Europa lahmt, USA und China ziehen davon

Viele Ideen, wenige Durchbrüche: Europäische Firmen spielen eine Schlüsselrolle in der Krebsforschung – noch. Der alte Kontinent droht den Anschluss zu verlieren.

image

Seltene Krankheiten: Mehr Zulassungen, aber wenig Zusatznutzen bei Orphan Drugs

Über die Hälfte der neuen Medikamente bieten keinen echten Fortschritt. Und kaum je schaffen sie neue Lösungen für seltene Erkrankungen ohne Behandlungsmöglichkeiten.

image

Herzstiftung zeichnet Nachwuchsforscherinnen aus

Srividya Velagapudi und Vanessa Biemmi erhalten für ihre Studien zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen den Albrecht von Haller Young Investigator Award.

image

Studie: Herzmedikament könnte Metastasen stoppen

Ein Forscherteam von ETH, USB, USZ und KSBL fand heraus, dass das etablierte Herzmedikament Digoxin bei Brustkrebs Metastasen verhindern könnte.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.