Kann man Ärztebewertungen und Zufriedenheits-Noten eigentlich ernst nehmen?

Welche Beurteilungen ein Mediziner von den Patienten erhält, hängt stark vom Arbeitsort ab: Dies belegt eine neue Studie. Ein Fazit daraus: «Wir sollten vorsichtiger dabei sein, Ärzte aufgrund von Zufriedenheits-Noten von Patienten einzuschätzen.»

, 9. März 2016 um 08:47
image
  • ärzte
  • spitalvergleich
  • docapp
  • medicosearch
Wie beurteilen Sie die Qualität der Behandlung? Bekamen Sie verständliche Antworten von den Ärzten? Wurden Sie mit Respekt und Würde behandelt? Solche Fragen beantworten die Patienten – beispielsweise – in den Qualitätsstudien des Verbands ANQ. Und in all den Ärzte- und Spital-Bewertungs-Portalen, die inzwischen zur Verfügung stehen, drücken sie mit Sternchen ähnliche Eindrücke aus.
Wer nun bislang den Verdacht hatte, dass hier der Faktor Zufall eine grosse Rolle spielte, kann sich nun bestätigt fühlen. 
Denn bei diesen Benotungen kommt es offenbar stark darauf an, in welchem Umfeld die Patienten ihren Ärzten begegnen. Dies ergab eine Studie, die jetzt in den «Annals of Emergency Medicine» veröffentlicht wurde: Welche Noten ein Arzt erhält, hängt vom Arbeitsort ab.

Brad S. Bendesky, Krystal Hunter, Michael A. Kirchhoff, Christopher W. Jones: « Same Physician, Different Location, Different Patient Satisfaction Scores», in: «Annals of Emergency Medicine», Februar 2016.

Erarbeitet wurden die Daten von Notfallmedizinern diverser Spitäler in den US-Bundesstaaten Philadelphia und New Jersey. Sie verglichen die Zufriedenheits-Noten, welche ein und dieselben Ärzte in verschiedenen Arbeits-Situationen erhielten. Und zwar arbeiteten die beobachteten Mediziner erstens auf einer Notfallstation, zweitens im Ambulatorium eines Grossstadt-Spitals und drittens in einem Vororts-Ambulatorium.

Warnung vor der Notfallstation

Dabei wurden ein Sample von Patienten gefragt, wie freundlich die Ärzte denn waren, wie sehr sich die Ärzte Zeit nahmen, wie sehr sie sich um die Anliegen der Patienten kümmerten und ob sie gut informierten; Fragen also, die durchaus etwa dem Muster der Schweizer ANQ-Befragungen entsprechen.
Dabei konnten die Patienten Noten zwischen 1 und 5 verteilen; ein System also, das dem gängigen Sterne-Prinzip der Online-Bewertungen entspricht.
Das Resultat: Wer in der Notfall-Station arbeitet, erhält deutlich schlechtere Noten. Sobald die beobachteten Ärzte dort tätig waren, bekamen sie auf alle Fragen konstant tiefere Werte als in den Ambulatorien.

«Zieht die Gültigkeit in Zweifel»

Dabei diente die Frage nach der Freundlichkeit übrigens als Test-Frage: Dieser persönliche Aspekt sollte andere Faktoren – etwa äussere Eindrücke oder die Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal – stärker ausblenden. Doch auch hier fielen dieselben Ärzte am einen Ort stärker ab als am anderen – wie bei allen anderen Kriterien auch.
Die Schwäche dieses qualitativen Tests mag sein, dass nur 17 Ärzte über alle drei Spital-Situationen hinweg verglichen wurden. Die Autoren gestehen dies selber ein, dennoch halten sie in ihrer Conclusion fest, dass ihre Ergebnisse «die Gültigkeit von Zufriedenheitsnoten für den Vergleich von Dienstleistern in verschiedenen Praxis-Situationen in Zweifel ziehen.»
Denn die Daten scheinen zumindest zwei logische Eindrücke zu bestätigen. Erstens: Die äussere Situation wirkt sich auf die Zufriedenheit der Patienten aus, und diese verteilen ihre Noten letztlich nach einem Allgemein-Eindruck – und nicht nach den Kriterien, die konkret gefragt werden.
Oder konkreter beschrieben: Wer auf dem Notfall lange warten muss, gibt auch dem höflichsten Arzt am Ende miese Freundlichkeits-Noten.

Auch in der Schweiz: Kein Notfall – bessere Noten

Und zweitens: Auch die Qualität der Arbeit der Mediziner schwankt mit der äusseren Situation. Derselbe Arzt arbeitet (und wirkt) als übernächtigter Notfallmediziner anders denn als Bürozeiten-Versorger in einem Vorstadt-Ambulatorium.
Die naheliegende Folgerung wäre also, bei den Beurteilungen auch jeweils die Settings miteinander zu vergleichen. Das könnte – beispielsweise – auch bei den Schweizer Spitälern gelten. Bei den ANQ-Erhebungen zeigt sich zum Beispiel, dass von den zehn Häusern, die letztes Mal die besten Noten erhielten, lediglich zwei eine Notfallstation betreiben.

Arzt-Patienten-Verhältnis sekundär?

Aber letztlich geht es nicht nur um die Notfall-Frage, sondern grundsätzlich um die Erkenntnis, dass äussere Details einen starken Einfluss auf die Benotung des medizinischen Personals haben. «Unsere Studie zeigt, dass die Zufriedenheitsnoten der Patienten durch andere Faktoren geprägt werden, nicht nur durch das Arzt-Patienten-Verhältnis», sagte einer der Autoren, Christopher Jones, zur Nachrichtenagentur «Reuters»
«Bis wir herausgefunden haben, wie diese anderen Faktoren einzuschätzen sind, sollten wir sehr vorsichtig damit sein, verschiedene Ärzte aufgrund von Zufriedenheitsnoten zu beurteilen.»
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

«Schauen Sie genau, wen Sie heiraten – das meine ich ernst.»

Seilschaften, starre Regeln und intransparente Gehälter bremsen Frauen auf dem Weg zur Chefarztposition. Rückhalt daheim ist entscheidend – und Teilzeit ist problematisch: Das sagt Susanne Renaud, Chefärztin Neurologie am Spital Neuenburg.

image

«Als Arzt nach Deutschland – warum nicht?»

Für Schweizer Assistenzärzte kann die Arbeit an einem deutschen Krankenhaus interessant sein. Die Nachfrage steige, sagt Martin Werner von DocsGoSwiss im Kurzinterview.

image

OneDoc übernimmt Medicosearch: Auswirkungen für Praxen in der Schweiz

Nach dem Zusammenschluss wird OneDoc über 13’000 Gesundheitsanbieter umfassen. Diese erhalten mehr digitale Reichweite – und mehr KI.

image

Zwei neue Ärztinnen in Hasliberg

Ab 1. Mai 2025 verstärken Dr. med. Stefanie Zahner-Ulrich und Dr. med. (SRB) Sonja Krcum Cvitic das Team der Rehaklinik Hasliberg. Mit ihren fundierten Erfahrungen in Allgemeiner Innerer Medizin bzw. Physikalische Medizin und Rehabilitation erweitern sie gezielt die medizinische Kompetenz der Klinik

image

Forschung und Praxis: Synergien für die Zukunft

Dr. Patrascu erklärt im Interview die Verbindung von Forschung und Praxis an der UFL. Er beschreibt die Vorteile des berufsbegleitenden Doktoratsprogramms in Medizinischen Wissenschaften und zeigt, wie die UFL durch praxisnahe Forschung und individuelle Betreuung Karrierechancen fördert.

image

Münchner Arzt vor Gericht wegen Sex während Darmspiegelung

Ein Arzt soll während Koloskopien 19 Patientinnen sexuell missbraucht haben. Er sagt, die Vorwürfe seien erfunden und eine Intrige.

Vom gleichen Autor

image

Spital heilt, Oper glänzt – und beide kosten

Wir vergleichen das Kispi Zürich mit dem Opernhaus Zürich. Geht das? Durchaus. Denn beide haben dieselbe Aufgabe: zu funktionieren, wo Wirtschaftlichkeit an Grenzen stösst.

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.