Deutschland: Investment-Firmen schlucken hunderte Arztpraxen

Medizin wird zur Spielwiese für internationale Fonds-Gesellschaften. Ärzte fürchten, dass sie zu Zulieferern degradiert werden.

, 8. April 2022 um 11:58
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«Möglichst hohe Stückzahlen rekrutieren»: Anonymisierte Ärztin im «Panorama» | TV-Beitrag «Teure Rechnungen»
Internationale Finanzinvestoren haben in Deutschland bereits «hunderte, möglicherweise sogar tausende Arztsitze» aufgekauft: Dies ergeben Recherchen eines Teams von NDR und Bayerischem Rundfunk.
Genaue Zahlen zur Entwicklung gibt es nicht. Aber nachweislich befinden sich heute alleine über 500 Augenarzt-Praxen im Besitz von internationalen Finanzfirmen; die Zahl habe sich innert drei Jahren verdreifacht, so die Recherchen.
Offenbar wittern allerlei Firmen hier eine «Golden Opportunity for Private Equity», so der Titel eines einschlägigen Berichts der Beratungsfirma McKinsey im Jahr 2017 – rund ein Dutzend Player suchen derzeit nach deutschen Praxen. Konkret kaufen Private-Equity-Firmen aus Grossbritannien, Luxemburg oder Skandinavien reihenweise Arztsitze und bündeln sie – zum Beispiel regional oder thematisch. Oft geschieht dies indirekt über einen Fonds.

Kaufen, aufbauen, verkaufen

Danach soll die Effizienz beziehungsweise die Rentabilität der Betriebe steigen, auch werden die entstehenden Praxisgruppen gern unter einem eigenen Markennamen geführt. In einem weiteren Schritt sollen diese Unternehmen dann en bloc teuer verkauft werden.
«Buy and build», so der Name des Verfahrens, welches das NDR/BR-Team bei Opthalmologie, Radiologie, Gynäkologie, Orthopädie, Nephrologie, Zahnheilkunde sowie bei Internisten und Allgemeinmedizinern festmachen konnte.

Von Stockholm nach Sissach

Ganz neu ist die Idee ja nicht: Das Phänomen der Gruppen- und Netzwerkbildung ist längst auch in der Schweiz gang und gäbe, sei das durch Eigeninitiative einzelner Praxen, sei das unter der Ägide von Krankenkassen oder von Unternehmen wie die Migros. Gut ins Muster passt auch die Expansion der Vista-Gruppe, die mittlerweile zwanzig Praxen in der Schweiz führt.  Sie gehört zum Münchner Unternehmen Veonet, welches in Deutschland, den Niederlanden und Grossbritannien nochmals 180 Betriebe führt.
Aufgebaut worden war Veonet von der Private-Equity-Firma Nordic Capital mit Sitz in Stockholm; im Dezember verkauften die Schweden es dann an einen kanadischen Pensionsfonds und eine französische Investment-Gesellschaft. Den Preis vermuten Experten bei 2 Milliarden Euro.

Zusatzleistungen anpreisen!

In den Recherchen erwähnt wird ferner die Sanoptis-Gruppe: Sie soll in Kiel bereits mehr als die Hälfte aller ambulanten Augenärzte beschäftigen. Sanoptis ist auch schon in der Schweiz präsent, insbesondere in Bern und Basel. Derzeit gehört das Unternehmen der britischen Finanzfirma Telemos – die laut dem «Handelsblatt» allerdings einen Käufer dafür sucht.
Die Einbindung von Praxen in globale Finanzstrukturen könnte die Tätigkeit der Ärztinnen und Ärzte doch tiefgehend prägen, so die Darstellung von Zeugen in den ARD-Beiträgen. Die Mediziner würden vermehrt angehalten, Zusatzleistungen anzubieten oder «hohe Stückzahlen» zu erzielen. «Die Augenheilkunde ist ein Gewerbe geworden», sagt etwa eine Augenärztin im Interview.
Mit Bezug auf Zahnärzte hatte ein Gutachten für die deutschen Versicherer bereits im Oktober 2020 festgestellt, dass solche Investoren-Praxen «vermehrt betriebswirtschaftlich attraktivere Leistungen erbringen, während sie weniger attraktive Leistungen vernachlässigen.»

Pech für den Nachwuchs

Und: Die These, dass diese Unternehmen «einen Beitrag zur Sicherung der zahnärztlichen Versorgung in ländlichen, strukturschwachen und von Unterversorgung bedrohten Regionen leisten, ist zurückzuweisen.»
Die Kehrseite dabei: Die Fondsfirmen bieten erkleckliche Summen für etablierte Praxen, die in urbanen Gebieten liegen. So dass die neuen Player jungen Ärztinnen und Ärzten den Weg zu einer eigenen Praxis eher verbauen – zumindest in attraktiven Regionen.

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