Covid-19: Sterblichkeit sollte nun sinken + Zytokinsturm überschätzt?

Der Überblick über neue Daten und Debatten in der Corona-Krise. Diesmal: Masken-Evidenz, Mutationen, PostDocs, Zytokin-Sturm.

, 14. September 2020 um 08:26
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Lernprozess: Sterblichkeit bei Corona-19-Patienten sollte nun sinken

Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis erwartet, dass die Sterblichkeit bei Covid-19-Patienten im Herbst und Winter sinken wird. Die Spitäler in Deutschland seien nun gut gerüstet für den Umgang mit schwer erkrankten Patienten. «Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Ärzte gute Arbeit leisten», sagte der Professor für extrakorporale Lungenersatzverfahren an der Universität Witten/Herdecke und Oberarzt eines Kölner Spitals im Interview mit «Die Zeit» (Print). «Ich habe einige schwerstkranke Patienten gesehen, die jetzt wieder im Berufsleben stehen.»  
Es habe einen Lernprozess gegeben: Anfangs habe man in einigen Fällen zu früh mit der Beatmung begonnen und damit teils schwere Nebenwirkungen riskiert. «Aber nicht zu beatmen, ist oft noch schlimmer.»
Inzwischen hätten sich Behandlungsstandards herausgebildet, so Karagiannidis: «Wir wissen mehr über den richtigen Beatmungszeitpunkt, über Medikamente wie Remdesivir gegen die Virenlast in der Frühphase der Erkrankung und Dexamethason als Entzündungshemmer bei beatmungspflichtigen Patienten.» Ausserdem habe man gelernt, dass viele Patienten Thrombosen und Lungenembolien entwickeln, was einen frühzeitigen Einsatz von Blutverdünnern nötig mache.

Thieme-Publikation: Wenig Evidenz für epidemiologischen Nutzen der Maskenpflicht

Eine Sichtweise, die angesichts gewisser Tendenzen in der öffentlichen Debatte fast schon ketzerisch wirkt: Das Fachorgan «Krankhaushygiene up2date» publiziert eine neue Überprüfung des Forschungsstandes zur Maskenfrage. Hauptaussage: Der Nutzen von Masken in der Öffentlichkeit zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie ist «nicht evidenzbasiert».
Konkret: Ines Kappstein, Professorin für Spitalhygiene und Leiterin Spitalhygiene diverser Kliniken in Bayern, überprüfte in der Überblicksarbeit die vorhandenen Studien zur Wirkung von Masken gegen das Virus. Die Autorin konzentrierte sich dabei insbesondere auf jene Arbeiten, auf die sich das Robert-Koch-Institut in Deutschland sowie die WHO in ihren Empfehlungen berufen, ferner auf weitere Erscheinungen in der letzten Zeit.
Am Ende ist das Resultat kritisch: Es gebe «keine wissenschaftlich fundierten Hinweise, und das auch nicht aus den dort genannten aktuellen Studien, dass Masken, die von der normalen Bevölkerung im öffentlichen Raum (Geschäfte, ÖPNV) getragen werden, ganz gleich welcher Art sie sind, also ob medizinische MNS oder sog. Community-MNB, die Erregerübertragung bei respiratorischen Infektionen, wie insbesondere Influenza oder COVID-19, reduzieren könnten», heisst es zum Beispiel. «Ebenso fehlen wissenschaftliche Belege, dass der zusätzliche Gebrauch von Masken in der Bevölkerung bewirken könnte, dass sich damit mehrere Komponenten (…) gegenseitig ergänzen.»
Ines Kappstein, «Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit: Keine Hinweise für eine Wirksamkeit», Thieme CME-Fortbildung, September 2020.

Mutiert SARS-CoV-2? Und welche Folgen hat das?

Ein Beitrag in «Nature» sucht nach den Mutationen beim «neuen» Coronavirus und stellt die Frage, wie sich die festgestellten Veränderungen auswirken. Die Zwischenbilanz, die dabei aufscheint: Covid-19 mutiert eher zögerlich. Zugleich lassen sich bei den verschiedenen Virusstämmen keine klinischen Veränderungen bei den Patienten festmachen. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass gewisse Anpassungen dem Virus helfen, sich leichter zu verbreiten.
Was heisst das? Gedämpft wird die Hoffnung auf «Abschwächungen» – andererseits scheint sich auch nicht die Befürchtung bestätigen, dass neue Varianten dermassen anders sind, dass neutralisierende Antikörper an Wirksamkeit verlieren könnten. «Es ist eine Möglichkeit, aber keineswegs sicher, dass das Virus Mutationen durchmacht, welche seine Angreifbarkeit durch Antikörper und das Immunsystem verändern»: Mit dieser zurückhaltenden Aussage wird beispielsweise Jesse Bloom zitiert, ein Virologe am Fred Hutchinson Cancer Research Center. Und solche Veränderungen könnten Jahre beanspruchen.

«The coronavirus is mutating — does it matter?», «Nature», 8. September 2020. doi: 10.1038/d41586-020-02544-6

Zytokinsturm bei Covid-19: Überschätzt?

Zu den gängigen Erklärungen für schwere Komplikationen bei Covid-19-Patienten zählt der Zytokinsturm, also die gefährliche Rückkopplung von Zytokinen und Immunzellen respektive die daraus folgende Entgleisung des Immunsystems. Wie niederländische Ärzte nun melden, dürfte dies allerdings viel seltener und weniger relevant sein als bisher angenommen.
Das Team um den Intensivmediziner Peter Pickkers von der Radboud-Universität in Nijmegen verglichen die Zytokinspiegel bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten mit jenen von Patienten, die beispielsweise eine bakterielle Sepsis oder Traumata oder einen Herzstillstand erlitten hatten. «Unsere Resultate zeigen überzeugend, dass die zirkulierenden Zytokin-Konzentrationen nicht höher sind als bei anderen Erkrankungen, sondern tiefer», sagte Pickkers gegenüber «Medscape». «Wir sind in der Tat überrascht über die Resultate unserer Studie».



Kann man sich über eine Kartonschachtel mit Covid-19 anstecken?

Neues zu einer Dauerfrage bietet ein Überblicksartikel auf «Medscape». Konkret stellte das Fachmedium die Frage: Besteht die Gefahr, dass man das Virus vom Äusseren einer Cornflakes-Packung im Supermarkt oder bei der Übergabe eines Päckchens aufliest?
Antwort: Es ist extrem unwahrscheinlich. Oder anders: Dazu müsste eine ganz bestimmte Sequenz von Ereignissen eintreten:
Jemand müsste sich so benehmen, dass eine erhebliche Menge des Virus auf die Oberfläche gelangt (zum Beipiel darauf niesen).
Dann müsste das Virus lange genug überleben, bis der nächste Kunde das Paket berührt. (Auf Plastik und Stahl wären dies maximal 3 Tage, auf Karton bis zu einem Tag.)
Dann müsste diese Person dieselbe Hand – ohne sie zu waschen – an Nase, Mund oder Auge führen.


Die Pandemie erschwert Arbeit von Postdocs massiv

Acht von zehn Postdoktoranden melden, dass die Coronavirus-Pandemie ihre Möglichkeiten erschwert, Experimente durchzuführen oder Daten zu erheben. Mehr als die Hälfte finden es schwieriger, ihre Ideen oder Ergebnisse zur Diskussion zu stellen – ob mit Kollegen oder mit Lehrenden und Labor-Leitern. Dies besagt eine Erhebung, die «Nature» durchführen liess: Insgesamt 7670 Postdoc-Forscher weltweit wurden dabei befragt (aus allen Fachrichtungen).
Ein weiteres Ergebnis: Fast zwei Drittel glauben, dass die Pandemie ihre Karriereaussichten verdüstern.


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