Beat Knechtle: Der Ultra-Ausdauer-Arzt

Beat Knechtle ist Hausarzt, Professor für Hausarzt-Medizin und Ultra-Triathlet. Im Interview sagt er, welches die sportlichsten Ärzte und Ärztinnen sind und warum er während Wettkämpfen Landjäger isst.

, 10. Juli 2019 um 06:44
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Herr Knechtle, im letzten September haben Sie den Swissultra gemacht: 10 Triathlons in 10 Tagen in Folge über eine Gesamtdistanz von 2260 Kilometern. Ist das gesund?
Der Wettkampf war ein Trainingslager, kein Problem. Ich kam ohne grosse Anstrengung auf das Podest und nachdem alles Material wieder zu Hause war ging das Training unverändert weiter.
Warum sind viele Ärzte Extremausdauersportler?
Also an den Wettkämpfen in denen ich starte habe ich in den letzten 30 Jahren kaum je einen Arzt oder eine Ärztin gesehen. Ich stand aber einmal zusammen mit einem Professor für Medizin aus England bei einem Zehnfach-Ultratriathlon auf dem Podest. Und Studien (siehe Kasten unten) haben gezeigt, dass im Extrembereich beim Laufen mehrheitlich Männer mittleren Alters und mit höherer Bildung unterwegs sind. Ich denke, dass solche Männer die intellektuelle Herausforderung dieser Wettkämpfe vor allem beim Lösen von Problemen sehen. Bei einem dermassen langen Wettkampf können so viele Schwierigkeiten auftreten, dass man nur mit sehr grosser Erfahrung in der Lage ist, alle Probleme in Schach zu halten.
Wie finden Sie neben Ihrer Arbeit als Hausarzt in St. Gallen und als Professor am Institut für Hausarztmedizin in Zürich noch Zeit, pro Jahr 300 Kilometer zu schwimmen, 25 000 Kilometer Velo zu fahren und fast 4000 Kilometer zu laufen?
Das ist kein Problem. Es ist nur eine Frage der Planung. Es wären noch viel mehr Kilometer möglich von der Zeit her.
Sie analysieren akribisch Ihren Körper und Ihre Leistungen. Gewinnen Sie daraus auch wichtige Erkenntnisse für Ihre Arbeit als Hausarzt?
Neben eigenen Fallberichten habe ich auch viele andere Sportler und deren Leistungen ausgewertet. Davon profitieren alle Menschen die daran interessiert sind, also auch Untrainierte und Übergewichtige. Gewisse Sportler nutzen die Ergebnisse dann für eigene Rekordversuche.
Sind Sie ein Hausarzt, der seinen Patienten als erstes mehr Bewegung verordnet?
Nein, das kommt sehr selten vor.
Welche Sportart ist am gesündesten?
Hauptsache Sie bewegen sich, Wandern ist am besten und am günstigsten.
Wann raten Sie von Sport ab?
Bei kritischen Situationen wie schweren Infekten, kurz nach einem Infarkt oder bei fortschreitenden chronischen Krankheiten.
Haben Sie auch unsportliche Patienten, die sich um keinen Preis vermehrt bewegen möchten?
Ja, viele. Unter meinen Patienten habe ich sehr viele sehr alte und multimorbide Patienten mit deutlichen Einschränkungen. Die können schlichtweg nicht mehr viel machen.
Sollten auch Ärzte und Pflegefachleute mehr Sport treiben?
Das sind auch nur Menschen. Ich habe festgestellt, dass auf der Chirurgie eher ungesund lebende Menschen arbeiten. Die wollen Tag und Nacht operieren und haben kein Bedürfnis, zu sich zu schauen. Die Gesundheitsbewussten, die zum Beispiel mit dem Mountain-Bike zur Arbeit kommen, arbeiten eher auf der Inneren Medizin. Ich kenne auch einen Gynäkologen, der einen Ironman gemacht hat.
Müssen Ärzte und Pflegefachleute nach dem Training beim Kontakt mit Patienten besonders aufpassen? Es gibt ja das Open-Window-Phänomen, also ein nachgewiesenes erhöhtes Krankheitsrisiko nach sportlichen Leistung, weil dann die Immunabwehr geschwächt ist.
Ein erhöhtes Infektrisiko ist nur zu erwarten wenn man sich komplett ausgegeben hat, sonst passiert da nichts.
Bei Ihren anthropometrischen Daten, die Sie auf Ihrer Website veröffentlichen, heisst es zu Ihrem Gewicht 71 bis 83 Kilogramm. Warum schwankt das so stark?
Ich richte mich nach dem Zielwettkampf: Für ein schnelles Rennen in der Hitze mache ich mich möglichst leicht. Für eine lange Schwimmstrecke in der Kälte lege ich ein paar Kilos zu. Mein übliches Gewicht ist 77 Kilo. Das stelle ich jeweils vor dem Wettkampf ein.
Wie «macht» man sich leicht?
Ich gehe jeweils im Winter auf 80 bis 90 Kilo. Im Frühling und Sommer mache ich dann lange bis sehr lange Radtrainings und nehme dabei nur Cola und kaum Kalorien in fester Form zu mir. So zwinge ich meine Muskulatur, einerseits maximal Fett zu verbrennen und andererseits grosse Fettdepots anzulegen.
Und was bringt das?
Mit dem Prinzip, im Frühling zehn Kilos runterzufahren bin ich jeweils im Herbst so schnell und so fit, dass ich dann immer sehr gute Zeiten und Ränge mache. Wenn ich zusätzlich vor dem Rennen ein Fatloading einbaue, kann ich die 540 Radkilometer bei einem Dreifach-Ultratriathlon bei minimaler Energiezufuhr voll durchdrücken und anschliessend auch noch die drei Marathons voll durchlaufen.
Gemäss Ihren Daten brauchen Sie fast 4000 Kilokalorien pro Tag.
Das war zu meinen besten Zeiten als ich Vizeweltmeister im Double-Ironman wurde. Damals haben wir im Labor etliche Analysen gemacht. Heute bin ich älter, habe weniger Muskelmasse und brauche weniger Kalorien. Aber wenn ich in den Ferien eine härtere Trainingswoche mit 70 bis 80 Stunden Radfahren absolviere, steigt der Kalorienverbrauch schon massiv an.
Was essen Sie während eines Wettkampfs?
Da fragen sich Ernährungsexperten, ob ich spinne. Denn eigentlich sagt man, dass man den Energiebedarf im Wettkampf hauptsächlich mit Kohlenhydraten und nur mit wenig Eiweiss und Fett decken soll. Ich mache es aber gerade umgekehrt: Ich nehme zum grössten Teil Fett und Eiweiss zu mir und nur ganz wenig Kohlenhydrate in Form von Cola.
Warum machen Sie es anders, als es die Experten sagen?
In der Ernährungswissenschaft gibt es eben keine harten Fakten. Es wird sehr viel behauptet, was gar nicht belegt ist. Davon lebt eine ganze Industrie, die sehr viel Umsatz mit Sportlernahrung macht. Das, was ich esse, gibt es in der Migros oder im Coop. Es muss einfach praktisch zum Einnehmen sein und je nach Klima hitze- oder kältebeständig ist.
Was zum Beispiel?
Landjäger.
Was essen Sie an einem normalen Arbeitstag?
Da bin ich mit meiner Ernährung völlig unauffällig.
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Beat Knechtle auf der 1800 Kilomter langen Rennvelostrecke des Swissultra. Bild: privat

Der typische Ultra-Marathon-Läufer: Männlich, gebildet und um die 45-jährig

Wer läuft Ultra-Marathons? Dieser Frage ging Beat Knechtle als Wissenschaftler nach und kam in einer Studie bei 100-Meilen-Läufern (161 km) zum Schluss: Es sind hauptsächlich Männer im Durchschnittsalter von 45 Jahren. Die meisten sind verheiratet und über 40 Prozent haben einen Universitätsabschluss.Sie haben ausserdem ein stabiles Körpergewicht und legen im Vergleich mit der Gesamtpopulation mit zunehmendem Alter weniger an Körpergewicht zu. Vermutlich deswegen, weil sie im jungen Alter einen tieferen Body Mass Index (BMI) haben.Zu ihrem ersten Ultra-Marathon starten die Läufer durchschnittlich mit 36 Jahren und zwar mit durchschnittlich sieben Jahren Wettkampferfahrung auf kürzeren Distanzen. Vor einem wichtigen Wettkampf absolvieren sie 3000 Trainingskilometer im Jahr.Ultra-Marathon-Läufer und -Läuferinnen - 20 Prozent sind Frauen - sind gesünder als die Gesamtpopulation. Ernste Erkrankungen sind selten: Krebs kommt nur bei knapp 5 Prozent vor. Schlaganfälle, Diabetes oder Aids bei unter  einem Prozent. Dafür hat jeder vierte eine Allergie und jeder siebte Leistungs-Asthma.Schliesslich hat Beat Knechtle auch festgestellt, dass Menschen, die Ultra-Marathons laufen, diese Läufe weniger als Wettkampf denn als Abenteuer schätzen.
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Beat Knechtle nach 10 Tagen mit 10 Ultratrithlons: Gelaufen ist er in diesr Zeit 422 Kilometer. Bild: privat
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