Ärztelöhne: Der Millionen-Franken-Streit in der Romandie

Wie die Gesundheitspolitiker Alain Berset, Mauro Poggia und Pierre-Yves Maillard die Kritik am neuen Tarmed geschickt unterlaufen.

, 5. Februar 2018 um 12:16
image
  • tarmed
  • praxis
  • lohn
  • ärztelöhne
In der Romandie treffen gleich zwei Anstösse aufeinander: Einerseits starteten mehrere Spezialisten in Genf eine Art Bummelstreik gegen die neuen Tarmed-Sätze – Handchirurgen, Gynäkologen, Urologen und Orthopäden weigern sich derzeit, gewisse Wahl-Eingriffe durchzuführen. 
Andererseits hatte Gesundheitsminister Alain Berset letzte Woche einen lauten Auftritt in «RTS Info», der Hauptausgabe der welschen «Tagesschau».
Sichtlich genervt wetterte Berset gegen Ärztelöhne und prangerte an, dass einzelne Mediziner über eine Million Franken verdienten – und dies mit Einnahmen der Grundversicherung. «Das sind zwischen 80'000 und 90'000 Franken pro Monat, bezahlt durch die Prämien!», rief er. Das sei inakzeptabel.

  • «Un salaire annuel d'un million pour un médecin est inacceptable»: Interview mit Alain Berset, «RTS Info», 29. Januar 2018.

Berset bezog sich dabei auf eine Aussage des Genfer Gesundheitsdirektors Mauro Poggia, der zuvor mit dem Millionen-Hinweis die teilstreikenden Handchirurgen kritisiert hatte.
Der Auftritt des Bundesrates führte wiederum zu einem Aufschrei der Ärzte. Die Präsidentin der Genfer Orthopäden, Valérie Pruès-Latour, konterte in der «Tribune de Genève» mit eigenen Zahlen: Im Schnitt lagen die Einkünfte in ihrem Fachbereich 2009 bei 260'000 Franken. «Die Politik vermischt die Einkommen aus der Grundversicherungen mit Einkommen aus Zusatzversicherungen, welche die Prämienentwicklung überhaupt nicht betreffen», so Pruès-Latour.

Millionen-Leistungen in Abwesenheit des Patienten?

Doch die Politiker krebsten keineswegs zurück, im Gegenteil: Gestern doppelte Pierre-Yves Maillard nach, ebenfalls zu bester «Tagesschau»-Sendezeit.
Der Gesundheitsdirektor des Waadtlandes – SP-Mitglied wie Berset – sagte: Natürlich gebe es Ärzte, die jährlich über eine Million Franken verdienten. Dann brachte Maillard diese Erkenntnis in direkten Bezug zum Tarmed: Es sei doch nicht in Ordnung, dass der Posten «Leistungen in Abwesenheit des Patienten» in den letzten Jahren drastisch gestiegen sei.
Wir sehen: Die Ärzte-Einkommen werden derzeit politisch benutzt. Und es rächt sich, dass die Datenlage sehr dünn ist, dass wenig Transparenz herrscht darüber, welche Mediziner wie viel verdienen und aus welchen Quellen dieser Verdienst kommt.

Elegante Analogien

Denn klar ist ja auch: Nur eine kleine Minderheit kommt über die Millionen-Grenze. Und diese Spezialisten-Minderheit verdient die grossen Summen nicht mit den Tarmed-Tarifen und der Grundversicherung, sondern mit Privatpatienten und Selbstzahlern.
Doch durch ihre Analogien am TV schafften es Berset und Maillard elegant, den Protest gegen die jüngsten Tarmed-Anpassungen in ein schiefes Licht zu stellen.
Die welschen Ärzte wollen nun mit Gegen-Informationen kontern. Per Communiqué sprach die Waadtländer Ärztegesellschaft (SVM) von «Fake News»

Die Tage sind zu kurz

Verbandspräsident Philippe Eggimann rechnete in «24 heures» vor, dass der durchschnittliche Umsatz einer Arztpraxis im Waadtland 422'000 Franken beträgt (Stand 2016, basierend auf den Aussagen von 1'300 Praxen). Wobei einkalkuliert werden müsse, dass dem Arzt am Ende bestenfalls die Hälfte des Umsatzes bleibt.
Eggimann wies also die Millionen-Aussage kategorisch zurück: Es sei für einen Niedergelassenen gar nicht möglich, mit der Grundversicherung so viel zu holen. «Es ist ganz einfach: Um mehr als eine Million zu verdienen, muss man einem Umsatz von über 2 Millionen erreichen», so der Intensivmediziner in «24 heures». «Mit dem Tarmed, der nach Zeit vergütet, sind die Tage zu kurz, um das zu schaffen. Das ist nicht möglich.»

260'140 Franken für den Chefarzt

Ähnlich argumentierte die Präsidentin der Walliser Ärztegesellschaft: In ihrem Kanton gebe es vielleicht zwei Mediziner, die mehr als eine Million verdienten, sagte Monique Lehky Hagen im «Nouvelliste». Und dies auf etwa 1'000 Ärzte. Dabei handle es sich um Spezialisten.
In den öffentlichen Spitäler seien die Sätze ohnehin weit davon entfernt. Im Walliser Kantonsspital, so recherchierte der «Nouvelliste» weiter, erreicht ein Chefarzt bei einem Vollpensum 260'140 Franken, ein stellvertretender Chefarzt 231'525 Franken. Hinzu kommen variable Einnahmen durch die Betreuung von Privatpatienten, wobei hier aber wiederum eine Obergrenze von 20 Prozent des Gesamteinkommens gilt. 
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Tarmed-Streit: Ärzte demonstrieren in Genf

Die Genfer Grundversorger sind nicht mehr bereit, weitere Senkungen ihres Einkommens hinzunehmen.

image

Eine Börse für Praxis-Stellvertretungen

Die Jungen Haus- und KinderärztInnen Schweiz JHaS entwickelten eine Plattform, die erstens jungen Medizinern und zweitens Niedergelassenen helfen soll.

image

Nächster Fall: Notfallpraxis der Hausärzte in Sursee schliesst

Das Bundesgerichtsurteil gegen Inkonvenienz-Pauschalen für Walk-in-Praxen und Permanencen hat weitere Folgen.

image

Zuschläge falsch ausbezahlt; dürfen aber behalten werden.

Im Kantonsspital Obwalden gab es ein Gerangel um irrtümlich erstattete Sonntagszuschläge. Doch nun werden die Inkonvenienz-Vergütungen sogar nochmals verbessert.

image

10 Forderungen: So wird die Arztpraxis barrierefrei

Viele Praxen sind für beeinträchtigte Menschen schwer zugänglich. Stufen sind nur eine von vielen Hürden.

image

«Datengrundlage der Pauschaltarife ist eine Farce»

Erneut wehren sich die Spezialärzte gegen «praxisuntaugliche» ambulante Pauschalen. Sie würden auf fehlerhaften Daten basieren.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.