Parkinson: ETH und CHUV entwickeln Wirbelsäulen-Implantat

Forscher in Lausanne entwickelten eine Neuroprothese, dank der ein Parkinson-Patient wieder problemlos laufen kann.

, 7. November 2023 um 12:18
image
Lockerer Gang: Marc, der erste Patient, dem eine Neuroprothese implantiert wurde  |  Chronobild: PD CHUV.
Rund 15'000 Menschen leiden in der Schweiz an der Nervenkrankheit Parkinson. Therapien, ob medikamentös oder mittels tiefer Hirnstimulation, helfen bislang nur begrenzt. Nun gibt es neue Hoffnung.
Mit einer Neuroprothese – einem Implantat im Rückenmark – haben Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL) und des Universitätsspitals Lausanne (CHUV) nun die Probleme beim Gehen eines Parkinson-Patienten korrigiert. Das Implantat wurde dem 63-Jährigen vor zwei Jahren eingesetzt: Heute kann er wieder flüssig und ohne zu stürzen laufen. Die Studie dazu wurde im aktuellen Fachblatt «Nature Medicine» publizierten.
«Ich kann jetzt mit viel mehr Selbstvertrauen gehen. Mein Alltag hat sich enorm verbessert», sagte Marc, der Patient aus Frankreich, in einem Medienbriefing zur Studie. Ihm wurde die Neuroprothese implantiert; als welweit erster Patient.
Beeinträchtigungen der Körperhaltung, des Gleichgewichts und des Gangs betreffen rund 90 Prozent aller Parkinson-Patienten im fortgeschrittenen Stadium, wie das Forschungsteam (Leitung: Jocelyne Bloch und Gregoire Courtine) in der Studie schreiben. Ein typisches Symptom von Parkinson ist laut den Wissenschaftlern ein plötzliches Blockieren von Bewegungen, das als Freezing bezeichnet wird.
Therapiert wird Parkinson in der Regel mit Dopamin und Elektroden im Hirn, der sogenannten tiefen Hirnstimulation. Gegen Gangstörungen seien diese Therapien aber oft nicht wirksam, wie es in der Mitteilung heisst. So auch beim Patienten aus Bordeaux, der seit 1996 mit der Parkinson-Krankheit lebt.
Zwar habe ihm in den frühen Stadien der Krankheit eine Dopamintherapie und später eine Tiefenhirnstimulation geholfen, zuletzt entwickelte er jedoch schwere Gangstörungen. «Ich konnte praktisch nicht mehr gehen. Ich bin fünf- bis sechsmal am Tag umgefallen», erzählt Marc.
2021 wurden ihm dann die Lausanner Neuroprothese ins Rückenmark implantiert; als erster Patient weltweit. Seine «Wiedergeburt», wie Marc es nennt, verdankt er einer dünnen Folie mit insgesamt sechzehn Elektroden.

So funktioniert das Implantat:

Die Neuroprothese besteht aus Elektroden im Rückenmark und einem elektrischen Impulsgenerator, der unter der Bauchhaut implantiert wurde. Die Elektroden im Rückenmark stimulieren sogenannte Motorneuronen und aktivieren so gezielt die Muskeln.
Um die richtigen Neuronen zur richtigen Zeit zu stimulieren, trägt der Patient Sensoren an beiden Beinen. Sie dienen dazu, die motorischen Absichten und Bewegungsmuster des Patienten zu erfassen und diese Informationen an die Neuroprothese weiterzugeben. Eine Software übersetzt diese Messungen in elektrische Impulse.
Die Signale wurden in einer mehrmonatigen Eingewöhnungsphase nach der Operation genau auf Marcs Defizite und Bedürfnisse abgestimmt.

image
Das Implantat in der Wirbelsäule des Parkinson-Patienten korrigiert die gestörten Signale des erkrankten Gehirns an den Gehapparat. Eine Anpassung alle paar Monate ist nötig.

Bis jetzt wurde die Wirksamkeit der Neuroprothese allerdings erst an einem Patienten getestet. Bevor das Implantat breit verfügbar sein wird, werden noch weitere Studien notwendig sein. Das Forscherteam hofft, im Laufe der nächsten zwei Jahre sechs weiteren Patienten eine entsprechende Neuroprothese zu implantieren.
Wie SRF news berichtet, werde das Tempo der Forschung von Courtine und Bloch auch vom Geld bestimmt: Sie arbeiten mit einer Spende der Michael J. Fox-Stiftung, die weltweit die Parkinsonforschung fördert.

  • ETH
  • CHUV
  • Forschung
  • Parkinson
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

CHUV und Paraplegiker-Zentrum arbeiten zusammen

Neu gibt es am Unispital Lausanne eine Spezialsprechstunde für Rückenmarksverletzungen.

image

Neue Leitung im Zentrum für Hirntumore des CHUV

Das Zentrum für Hirn- und Rückenmarkstumoren in Lausanne hat einen neuen medizinischen Leiter: Luis Schiappacasse, Experte für strahlentherapeutische Onkologie.

image

Westschweiz: KIS-Streit geht in eine neue Runde

Die Firma Kheops zieht ihre Beschwerde gegen die KIS-Ausschreibung der Waadtländer Spitäler vor das Bundesgericht – die Beschaffung wird damit erneut gestoppt.

image

CHUV: Neue Professorin an der Spitze der Neurochirurgie

Die Wissenschaftlerin, die Gelähmte zum Laufen bringt: Jocelyne Bloch hat die Leitung der Abteilung für Neurochirurgie am Unispital Lausanne übernommen.

image

CHUV: Aus Spenderstuhl wird Medizin

Das Universitätsspital Lausanne ist das erste Schweizer Spital mit Swissmedic-Zulassung zur Herstellung eines Medikaments aus Fäkalbakterien.

image

Auch CHUV-Personal muss mit zunehmender Gewalt fertig werden

Die Angriffe haben im Universitätsspital Lausanne in den letzen zwei Jahren um 24 Prozent zugenommen. Es gibt dort spezielle Sicherheits-Teams.

Vom gleichen Autor

image

Spitäler Schaffhausen: Bauprofi neu im Spitalrat

Angesichts der laufenden Bauprojekte wird die Aufsicht der Schaffhauser Kantonsspital-Gruppe mit einschlägiger Kompetenz gestärkt – in der Person von Tossan Souchon.

image

Neubesetzung im Verwaltungsrat von Thurmed

Antonio Nocito ist Chefarzt Chirurgie am Kantonsspital Baden. Er übernimmt das Amt von Markus von Flüe, der altersbedingt ausscheidet.

image

Kostenexplosion bei privaten Spitex-Firmen

Pflegeleistungen durch private Spitex-Firmen, die pflegende Angehörige anstellen, haben sich in Zürich von 2020 bis 2023 um 530 Prozent erhöht. Die GeKoZH fordert Massnahmen.